Vom Jäten zum Fotoshooting

Ein «Wanderfotograf» schoss dieses Bild 1941 im Bernbiet. Käthi Grunder-Bösiger schickte es uns aus dem Tessin, wo sie seit 27 Jahren wohnt.

Fotos aus meiner Kindheit sind eine Seltenheit. In unserer Familie und in der kleinen Berner Bauerngemeinde Untersteckholz besass zu dieser Zeit niemand einen Fotoapparat. Umso exotischer kam uns der fremde Mann vor, der im Frühsom­mer 1941 vorbeiwanderte und Vroni und mich, damals elf-und neunjährig, beim Jäten überraschte. Von der Gartenarbeit direkt zum Fotoshooting, würde man heute sagen …

Unsere Mutter kaufte dem «Wan­derfotografen» das Bild einige Tage spä­ter ab und ich durfte es dem Vater in den Aktivdienst schicken. Wahrscheinlich ist es am rechten Rand so zerknittert, weil er es immer bei sich trug. Auf der Rückseite steht noch seine Adresse: Fahrer Bösiger, Feldpost 5136 und der Poststempel vom 18. VI. 41.

Schwarzweissfoto: Zwei Mädchen mit Schürzen halten sich an der Hand.
© zVg

Dass wir Kinder daheim mit anpa­cken mussten, war selbstverständlich. Es herrschte Krieg, viele Männer waren im Militär, und alle halfen einander im Stall und auf den Feldern. Natürlich maulten wir manchmal, aber geschadet hat es uns nicht. Ich habe mein Leben lang gern gearbeitet und wurde nach meinem Welschlandjahr Verkäuferin aus Leidenschaft.

Wenn ich heute meinen Enkeln und Urenkeln erzähle, wie bescheiden wir aufwuchsen, können sie sich das kaum vorstellen. Im ganzen Dorf gab es noch keine WC-Spülungen. Im Schulhaus sassen wir in der Pause zu viert auf einer langen Holzbank mit Löchern und ver­richteten unser Geschäft. Ein Witzbold schrieb an die Wand: «In diesen schweren Zeiten braucht das Papier auf beiden Seiten!» Daran musste ich denken, als aktuell das Thema WC-Papier – damals benutzten wir alte Zeitungen – wieder so wichtig wurde.

Aufgezeichnet von Annegret Honegger

Beitrag vom 15.06.2020