An diesem Hochzeitsfoto von 1960 sei ein Liter Wein schuld, schrieb Elisabeth Studer-Schwendimann aus Zürich der Redaktion. Wie war das genau?
Am Abschlussfest des Samariterkurses erklärte der Präsident den nächsten Tanz zur Damentour: «Wer nicht tanzt, bezahlt den Musikern einen Liter.» Da mir für einen Liter Wein das Geld fehlte, forderte ich den Mann hinter mir auf. Auf Anhieb konnten wir gut miteinander walzern, links und rechts herum.
Als er mich morgens um zwei nach Hause begleitete, stellte ich mit Schrecken fest, dass ich meine Uhr verloren hatte. Vergeblich suchten wir alles ab. Am nächsten Tag fand ich die Uhr im Sack mit meinen Tanzschuhen und dachte: Wenn sich dieser Mann beim Wiedersehen nach der Uhr erkundigt, könnte etwas aus uns werden …
Er fragte sofort! Wir trafen uns öfter und verstanden uns gut. Trotzdem war ich überrascht, als er nach zwei Monaten fragte, ob wir uns an Weihnachten verloben wollten. Ans Heiraten hatte ich wegen meiner Kindheitserfahrungen eigentlich nie gedacht. Mein Vater tobte oft und schlug zu. Hilfe holen konnte meine Mutter damals nicht und eine Scheidung galt im Dorf als Todsünde.
Ich sagte Ja, und wir kauften die Ringe, die ich bis heute trage. Am 9. Mai 1960 heirateten wir in der kleinen Antoniuskirche in Egg ZH. Mit Sepp erlebte ich grosses Glück. Streit gab es eigentlich nur, weil wir ständig knapp bei Kasse waren. Wir hatten beide keine Lehre machen können, als Hilfsarbeiter bei den SBB verdiente Sepp wenig für unsere fünfköpfige Familie.
58 Jahre waren wir verheiratet, als mein Mann im Juni 2018 starb. Ich vermisse ihn jeden Tag. Zum Glück kann ich noch immer für die Ostmission nähen und stricken, so werde ich gebraucht und kann anderen helfen. Auch gesundheitlich geht es mir gut: Meistens fühle ich mich wie siebzig und staune selbst, dass ich 91 bin.
Aufgezeichnet von Annegret Honegger
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