Der Winterthurer Georg Kern hat eine Sammlung von 1000 alten Radios gekauft – und damit im Keller seines Familienbetriebs ein Radiomuseum eröffnet. Dort trifft Leidenschaft auf Platzmangel.
Text: Fabian Rottmeier
Schnell wird klar: Georg Kerns Radiomuseum ist kein gewöhnlicher Ort. Wer zur Eingangstür gelangen will, muss einen Kiosk durchqueren. Bis vor einigen Jahren gehörte dieser Raum noch zum anliegenden Fachgeschäft für Audio und Video, «Kern + Schaufelberger», das Georg Kerns Vater und Onkel 1934 gegründet hatten. Seine beiden Söhne leiten heute die Altstadt-Filiale in Winterthur. Treppe runter, rein ins Museum. Platzangst ist hier nicht von Vorteil. Das liegt nicht am niedrigen Kellerraum, sondern an der schieren Menge an Geräten, die das Auge am Eingangstresen empfangen. CDs, Schallplatten, Bücher, Radios, Videorekorder … «Das sollte alles noch schöner und aufgeräumter werden, das gefällt mir gar nicht», sagt der 75-Jährige.
Dass sich Gäste dennoch rasch wohl fühlen, liegt nicht nur am analogen Reichtum, sondern auch an Georg Kern. Leidenschaftlich führt er im Uhrzeigersinn durch den engen Rundgang, links und rechts thematisch geordnete alte Geräte: Telefone, Messgeräte, Fernseher, Grammophone und Plattenspieler, vor allem aber Radios in allen Grössen, Facetten und Formen. Das sonderbarste Radio: ein Tetra Pak Orangensaft, das sich als Taschenradio entpuppt – mit Antenne statt Strohhalm. Die auffälligsten Exemplare stammen aus den 1930er-Jahren: sogenannte Kathedralen, Radios im kirchlichen Look. «Dank Hochformat passten sie auch auf Nachttische», weiss Georg Kern.
Dann zeigt er auf ein niederländisches Radiogerät. Es wirkt, als sei es extra für das Frauenstimmrecht entwickelt worden. Es lässt sich nämlich von beiden Seiten bedienen: Gleichberechtigung beim Radiohören. Zu erzählen weiss er zu fast jedem Sammelstück etwas. Er wird selbst zum Radio, ohne Unterbruch auf Sendung, spielend die Frequenzen wechselnd zwischen den herzig verzierten Kindergrammophonen oder den Kurzwellenradios, die im Zweiten Weltkrieg in den Armeejeeps eingesetzt wurden. Für ihn geht es im Museum um mehr als bloss Elektronik. «Wir beleuchten hier das letzte Jahrhundert, das damalige Leben, die Politik und einen verschwundenen europäischen Wirtschaftszweig.»
Ein Fernseher, so gross wie ein Kühlschrank
Besonders stolz ist er auf einen Telefunken-Fernseher von 1936, der das Bild per Spiegel projiziert und so wuchtig wie ein Kühlschrank ist. Nicht einmal bedeutende deutsche Fachmuseen hätten diese Rarität, sagt er. Einige Ausstellungsgeräte sind funktionstüchtig, und Georg Kern führt sie gerne vor. Ganz der Geschäftsmann, erhofft er sich durch den Zeitlupe-Artikel doch ein paar Besuchende mehr – oder geschenkte Radios. Er erwähnt zudem, dass man hier gegen ein Entgelt auch Radios flicken oder analoge UKW-Geräte umrüsten lassen könne, damit diese auch mit dem digitalen Funksignal DAB+ nutzbar bleiben. Einnahmen wie diese helfen, das Museum selbsttragend zu machen. Wie viele Eintrittskarten verkauft werden, zählt Georg Kern nicht. Der 35-köpfige Förderverein «The Radio Butler» trifft sich monatlich zum Mitgliederabend.
Den grössten Teil seiner analogen Welt verdankt der Winterthurer einem Sammler aus Luzern. Zufällig stiess er auf dessen Verkaufsinserat. Der Katalog von «Tele-René» umfasste 17 Seiten und 1000 Radios. Viele Verhandlungen später bezahlte Georg Kern einen empfindlichen fünfstelligen Betrag für die gesamte Sammlung – und fuhr fortan mit einem Lehrling von «Kern + Schaufelberger» ein Jahr lang wöchentlich nach Luzern. Er fühlte sich wie auf einer Schatzsuche. Insgesamt 36 Lieferwagen füllten sie («Tele-René» hatte drei Lager mehr als angegeben). Mehrere hundert Geräte liegen noch heute im verwinkelten Altstadthaus, das Georg Kern zum Teil geerbt hat. «Da simmer na dra», sagt er in einem der übervollen Lagerräume mit Radios, Bedienungsanleitungen und Schemas. Es sei aufwendig, alles auszusortieren. Und neue Schenkungen will er partout nicht ablehnen. Das spreche sich sonst schnell rum.
Die Arbeit beginnt immer wieder von vorn
Und so ist das 140 Quadratmeter grosse Museum bald fünf Jahre nach seiner Eröffnung auch zur Sisyphusarbeit geworden. «Schon oft ging alles platzmässig auf und sah gut aus – bis neue Ware kam», sagt er. Dass ihm das Museum auch viel Freude bereitet, ist zu spüren. Es sei in einer schnelllebigen Zeit ein Ort der Entschleunigung, der vor allem von älteren Menschen sehr geschätzt werde. Sein Antrieb: «Dass die schönen alten Geräte erhalten bleiben.» Er will so viele wie möglich reparieren und ist um jede freiwillige Hand froh. Auch ein Postenlauf mit 40 Geräten schwebt ihm vor, bei dem ein Tonband durch die Ausstellung führt. Georg Kern hat viel Elan – und fast noch mehr Pläne.
Radiomuseum Winterthur, Obergasse 40, Fr. 15–18.30 Uhr, Sa. 11–17 Uhr oder nach Vereinbarung, Telefon 076 364 04 78, radio-museum.ch
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