Seit Jahrzehnten setzt sich Heidi Rothen in Luzern für hilfsbedürftige Menschen ein. 1994 hat sie den Christkindli-Briefkasten lanciert, der Wünsche erfüllt und Lebensfreude spendet.
Text: Fabian Rottmeier
Heidi Rothen sitzt in ihrer Stube in Hergiswil, stöbert durch Briefe ans Christkind – und liest vor: «Liebes Christkind. Werde dieses Jahr den Heiligabend in Neuenkirch verbringen. Bitte schick mir das Paket dorthin.» Diese Zeilen sind nur wenige von unzähligen, die sie in den vergangenen 26 Jahren zum Lachen oder zum Weinen gebracht haben. Seit 1994 steht der von ihr lancierte Christkindli-Briefkasten von Ende November bis Mitte Januar vor dem Luzerner Rathaus.
Mit dem 400 Jahre alten Gebäude ist sie eng verbunden, arbeitete sie doch 33 Jahre lang als Hausbeamtin dort und war um vieles wie Trauungen, Vernissagen und Besuche besorgt. Sie habe viel Leben ins Haus gebracht, sagt sie. Dabei durfte sie auch Persönlichkeiten wie Fürst Rainier oder Walter Scheel empfangen und nennt den Besuch von Hillary Clinton als Höhepunkt. Ganz alleine durfte sie die damalige First Lady in einer Pause begleiten und ihr einen Tee servieren.
Auch zum Fasnachtssujet reichte es
In den Siebzigern, als vor dem Rathaus eine Drogenszene für Unmut sorgte, hatte sie sich für diese Menschen eingesetzt – nicht zur Freude aller. «Einmal wurde ich sogar zum Fasnachtssujet – als ‹Drogenmutter›». Zwölf Jahre lang war sie für die Liberale Partei, die heutige FDP, Mitglied des Grossen Bürgerrats und des Kantonsrates und knüpfte dadurch viele Kontakte – auch um ihre privaten karitativen Stiftungen zu unterstützen: die Stiftung Sonneschiin für sexuell missbrauchte Kinder oder das Kinderparadies, den Kinderhütedienst in der Luzerner Altstadt für sozial benachteiligte Familien. Familiäre Gründe und die Coronakrise haben dazu geführt, dass sie das Kinderparadies Ende September nach knapp 30 Jahren schliessen musste. Ein weiterer grosser Verlust, nachdem im Januar ihr Ehemann verstorben war. Die Spielwaren aus dem Kinderparadies hat sie nach Rumänien verschenkt.
Geblieben ist ihr davon einzig «mein schönstes Geschenk»: Cindy, 21 Jahre alt, Tochter eines angolanischen Flüchtlings. Sie sitzt im Nebenzimmer und nimmt online an einer Uni-Vorlesung teil. Heidi Rothen hatte sie als kleines Mädchen fünf Jahre lang bei sich aufgenommen. Cindy besucht ihr «Mami», so oft es geht. Auch Weihnachten verbringen sie stets zusammen.
Mit der Adventszeit steht nun die Hochsaison des Christkindli-Briefkastens bevor. Etwa 700 Wünsche werden sich ansammeln, und da die Post trotz fehlendem Postfach auch ans «Christkindli, 6000 Luzern» eingeschickte Briefe weiterleitet, erhält Heidi Rothen das ganze Jahr über Zuschriften von Kindern – und Erwachsenen. «Ein Bauer schrieb einst, er habe viele Kühe, aber keine Frau.»
Oft gewünscht: Polizeiautos und Babypuppen
Mit einem 20-köpfigen Team, darunter viele Religionslehrpersonen, sichtet Heidi Rothen die Briefe und teilt die Wünsche nach Dringlich- und Machbarkeit auf. Sie liebt es, Lebensmittel mit den Beschenkten selbst einzukaufen. Manchmal überreichen auch Schulkinder in Begleitung einer Lehrperson die Geschenke. Buben wünschen sich oft ein Polizeiauto, Mädchen eine Babypuppe, Erwachsene Lebensmittel, warme Kleider oder ein Halbtax-Abo. Manch ein Kinderwunsch ist bittersüss: «Liebes Christkind. Ich habe kein Freund. Drum wünsch ich mir der Hund. Merci. Dini Evi.»
Nächstenliebe hält offenbar jung. Trotz ihrer 81 Jahre strotzt Heidi Rothen vor Energie und Tatendrang. Ein Arzt dachte kürzlich, ihr eingetragener Jahrgang sei ein Irrtum. «Ich finde, im Alter sollte man keine grossen Ansprüche haben und anderen helfen. Das tut mir gut.» Ihre Hilfsbereitschaft führt sie auf ihre Eltern zurück. Sie sei in einfachen Verhältnissen in Plons bei Mels aufgewachsen. «Mit viel Liebe. Das wünsche ich jeder Familie.» Die St. Gallerin kam als eines von vier Bauerngeschwistern mit sieben Monaten zur Welt. «Man wärmte mich mit in Murmeliöl getränkten Tüchern und betete für mich.» Ihre Eltern hätten sich stets liebevoll um Hilfsbedürftige gekümmert, etwa Taglöhner. Und den ersten reifen Apfel habe ihr Vater immer seiner Frau überreicht. «Solche Gesten vergisst man nicht.» Ebenso wenig wie später den Tagebucheintrag eines befreundeten Transvestiten, der schrieb: «Dank Heidi Rothen lebe ich noch.» ❋
Buchtipp: «Christkindli-Post – Eine Legende lebt: Briefe von Kindern und Erwachsenen an das Christkind», Heidi Rothen, 2005, Verlag von Ah Druck AG, Sarnen, vonahdruck.ch, Telefon 041 666 75 75
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