Annelise Leu ist die erste diplomierte Hotelière der Schweiz – und hat sich zeit ihres Lebens weder von Männern noch von gesellschaftlichen Normen unterkriegen lassen. Die 88-jährige Aroserin sieht sich noch heute als Pionierin.
Text: Fabian Rottmeier
Es passt, dass Annelise Leu in Arosa gelandet ist, dem sonnigen Ferienort in den Bündner Bergen. Die 88-Jährige sagt, Luft und Licht seien ihr stets wichtig gewesen. Stattdessen prägt und überschattet der Zweite Weltkrieg ihre Kindheit in einer wohlhabenden Basler Familie. Und die Männer schnüren sie ein. Zuerst ihr geliebter, aber despotischer Vater, dann ihr egoistischer Ehemann. Erst mit 62 befreit sie sich per Atemtherapie von ihrer Vergangenheit. Zwanzig Jahre später arbeitet sie ihr Leben in ihrer Biografie auf.
1968 ist Annelise Leu mit 36 Jahren die erste diplomierte Hotelière der Schweiz. Sie leitet mit ihrem Gatten Hans Leu das Aroser Luxushotel Kulm. Einen Arbeitsvertrag hat sie nicht. «Die Frau des Direktors», so der treffende Titel ihres Buches, ist «höchstens eine Fussnote im Vertrag ihres Mannes», wie darin zu lesen ist. Verfasst hat es ihre Enkelin Nina Zumthor.Annelise und Hans lernen sich 1953 an der Hotelfachschule Lausanne kennen. Als Frau wird die damals 21-Jährige automatisch in den Kurs «Aide directrice» eingeteilt – um den Direktor bei der Hauswirtschaft und im Sekretariat zu unterstützen. Obwohl sie einst Sängerin werden wollte, träumt sie nun davon, an der Hotelreception umschwärmt zu werden. Erste Erfahrungen sammelt sie in Le Mont-Pèlerin, Engelberg und Zürich, bevor das Paar heiratet und in Locarno erstmals im selben Hotel arbeitet. Es folgen drei Kinder – und für die Mutter eine fast zehnjährige Hotelpause.
Immer wieder fremdbestimmt
Zeit ihres Lebens fühlt sich Annelise Leu in Rollengedrängt und benachteiligt. Sie wehrt sich. «Schon als Kind», wie sie sagt. Sie sei immer eine Aussenseiterin gewesen, angetrieben von ihrer Wut. «Ich wusste, dass ich mich zu Recht auflehnte, war meiner Zeit jedoch voraus.» Auch die Rolle als junge, fremdbestimmte Mutter frustriert sie. Noch heute irritieren sie das Patriarchat und «die dominanten alten Männer an ihren wichtigen Posten». «Bevor es die Antibabypille gab, fürchtete ich mich ständig davor, wieder schwanger zu werden.» Wenigstens kümmert sich ihr Mann nach der Arbeit um die Kinder, was damals eine Ausnahme ist. Später «kümmert» er sich auch um andere Frauen.
«Wir wussten nicht wirklich, wie man ein Hotel führt – trotz unserer Ausbildung an der Hotelfachschule», gibt sie zu. Trotzdem prägen die beiden die Schweizer Hotelbranche mit Erneuerungen wie dem Tellerservice, dem Frühstücksbuffet sowie Show- und Unterhaltungsabenden (für gelangweilte Ehepaare), die viele Konkurrenten irritieren. Die Hotellerie sei angewandte Psychologie und werde oft unterschätzt: «Es gibt vieles zu beachten. Wenns richtig gemacht wird, merkt der Gast nichts davon.» Nach 20 Jahren gibt das Paar das Traditionshaus ab – und lässt sich scheiden. Hans Leu übernimmt ein Hotel im Tessin, Annelise Leu das Aroser Hotel Eden, zu dem später auch ihr Sohn dazustösst. «Ich habe lange nicht realisiert, dass Frauen selbst viel dazu beigetragen haben, dass sich nichts ändert», sagt sie heute.
Auf die Hotel-Auszeichnung folgt der -Verlust
Wer ihr gegenübersitzt, hat eine Frau vor sich, die mit wachem Blick genau zuhört. Sie lacht, regt sich auf: ein Energiebündel, das viele Hochs und Tiefs erlebt hat. Zu Letzteren gehört das 1974 von ihr gekaufte und neu lancierte Hotel Vieux Manoir: Ihr Bijou in Murten wird 1999 zum Schweizer Hotel des Jahres gekürt. 2004 muss sie es trotzdem «wegen eines fiesen Spiels der Banken» zum Spottpreis verkaufen.
Dass sie ihre «Lebenswut» losgeworden ist, sei vielleicht ihr grösster Gewinn. «Früher war man emotional verkümmert.» Sie sei liebevoller geworden, dank ihrer fünf Enkelkinder auch zärtlicher. Als wegweisend erweist sich 1993 ein Kurs des Hoteliervereins: «Ganzheitlich führen, ganzheitlich leben». Sie entdeckt die Kraft des Atmens und die sieben Chakras für sich. Kurz darauf verliebt sie sich mit 62 in einen 34-Jährigen. Bis kurz vor seinem Tod im vergangenen Jahr führen die beiden ein kleines B&B und Restaurant. «Mit dieser offen gelebten Beziehung war ich erneut eine Pionierin.» Heute thematisiert sie die ständig steigende Lebenserwartung: «Es macht doch keinen Sinn, hundert Jahre alt zu werden!» Es werde ja alles bloss eintöniger. «Ich habe mein Leben gelebt», sagt Annelise Leu. ❋
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