Fünf Jahre hat er sich mit Bienen beschäftigt, fünf weitere mit Flüchtlingen. Der Regisseur und Dokumentarfilmer Markus Imhoof reist seit einem Jahr um die Welt, damit auch sein neues Werk «Eldorado» etwas bewegt.
Es hat auch Vorteile, mit 77 Jahren noch Filme zu machen. Denn wie die Dinge weltweit zusammenhängen, verstehe man vielleicht erst im Alter, sagt Markus Imhoof. Die Filme des Winterthurers und Wahl-Berliners waren stets gesellschaftskritisch. Mit dem Spielfilm «Das Boot ist voll» zeigte er 1981, wie die Schweiz im Zweiten Weltkrieg ihre humanitäre Tradition vergass, als sie Zehntausende jüdische Flüchtlinge nicht aufnahm. 2012 traf er mit «More Than Honey» bei vielen einen Nerv, als er das Leben der Bienen dokumentierte – und auch ihr Aussterben. 255 000 haben den Dokfilm hierzulande im Kino gesehen: Rekord. Imhoof erntete dafür weltweit Preise.
Für die Solothurner Filmtage ist er wieder einmal in die Schweiz gereist. Sein Programm ist dicht, und er wirkt etwas müde. Doch die Thematik seines neusten Dokumentarfilms «Eldorado» ist ihm sehr wichtig: Mit genauem Blick und starken Bildern hält er darin fest, wie überfordert Europa derzeit mit der Flüchtlingsproblematik ist. 25 Interviews an einem Tag hat er schon gemeistert, einmal sogar zwei Gespräche gleichzeitig, wie er amüsiert erzählt.
Imhoof schaut genau hin
«Eldorado» hält fest, wie Flüchtlinge in Kalabrien illegal Tomaten ernten müssen und in Ghettos leben, oder auch, wie die Eritreerin Rahel im Kanton Bern nicht länger in einem Alterszentrum arbeiten darf, obwohl sie dort sehr geschätzt wird. «Wir leben gut vom Gefälle zwischen Arm und Reich», sagt Markus Imhoof. Er verknüpft verschiedene Schauplätze der Flucht, vom Gummiboot auf dem Mittelmeer bis zur Schweizer Asylunterkunft.
«Eldorado» bleibt lange im Gedächtnis haften. So etwa wegen seiner Aufnahmen vom Kriegsschiff «San Giusto», wo man erlebt, wie den bis zu 1800 Flüchtlingen beim Aussteigen am Hafen ein nummerierter Zettel an den Kragen geheftet wird. Aber auch wegen einer persönlichen Geschichte, die Markus Imhoof in den Film geflochten hat – nach langer Überzeugungsarbeit durch sein Team. Darin erinnert er an das italienische Mädchen Giovanna, das nach dem Zweiten Weltkrieg für ein paar Monate bei den Imhoofs lebte, bevor es wieder nach Mailand beordert wurde. Giovanna starb mit 14 in einem zerbombten Haus an einer Hirnhautentzündung. Ihr Schicksal hat den Regisseur «geprägt und nie mehr losgelassen». Auch deswegen hat er im Abstand von fast 40 Jahren zweimal «einen ähnlichen Film» realisiert. Der Bezug zum Ausland hat schon in seiner Kindheit eine Rolle gespielt. Imhoofs Mutter kam in Indien zur Welt, sein Vater schrieb eine Dissertation übers Auswandern, und einige Verwandte lebten über den halben Globus verstreut. «Dieser Wind in der Stube tat gut.»
Lobby-Arbeit in Hollywood
Vor kurzem hat «Eldorado» den Bayerischen Filmpreis gewonnen. Seit zwölf Monaten ist Markus Imhoof fast pausenlos «am Umeränne». Zwei Monate verbrachte er in Hollywood und anderen US-Städten, weil die Schweiz den Film ins Oscar-Rennen geschickt hat. Vergeblich. Diese Reise war für ihn eine Art Déjà-vu, hatte er doch 1982 für «Das Boot ist voll» eine Oscar-Nomination erhalten. Schon damals gab er monatelang Interviews. «Meine US-Agentin verdiente mehr als ich für meine Regiearbeit», sagt er und lacht.
Die aufwendigen Dreharbeiten, das viele Reisen und nicht zuletzt das beobachtete Leid haben ihm zugesetzt. «Es waren fünf harte Jahre», sagt Markus Imhoof. Er sehnt sich nach den geplanten Langlauf-Ferien im Engadin, einer Gegend, die ihm ans Herz gewachsen ist. Ansonsten hält er sich mit Yoga oder im Fitnesscenter gesund, und den Kopf «putzt» er sich mit Jazz oder klassischer Musik.
Wird es einen nächsten Film geben? Er müsse zuerst zur Ruhe kommen, bevor er schauen könne, was im «Blumentopf» nachwachse. Er erhofft sich von seinem «5. Akt im Leben» auch das Gefühl seiner Kindheit zurück, als er den ganzen Tag mit Zeichnen verbrachte. Die Jahre vor dem Schuleintritt seien seine glücklichsten gewesen. Es war auch die Zeit, als er realisierte, dass er bei weitem nicht das einzige «Ich» auf der Welt ist. Es ist der Ursprungsgedanke von «Eldorado» geworden.
«Eldorado» läuft im Juni oder Juli auf SRF und ist als Videostream auf www.cinefile.ch oder im Fachhandel als DVD erhältlich.