
Gabriela Manser: «Mit 70 will diesen Job keiner mehr machen»
Gabriela Manser übernahm Mitte dreissig die kleine Mineralquelle Gontenbad und führte sie mit Flauder zu nationaler Bekanntheit. Vor drei Jahren verkaufte sie die Mehrheit an eine Stiftung, ist aber weiterhin im Unternehmen engagiert. Ein Gespräch über Unternehmertum, Verwurzelung und Loslassen.
Interview: Franz Ermel, Fotos: Mirjam Kluka
Frau Manser, was macht ein gutes Mineralwasser aus?
Es kommt auf drei Dinge an: natürlich auf den Geschmack, dann auf die Temperatur und – ganz wichtig! – auf das Glas, aus dem es getrunken wird.
Oh! Welches Glas bevorzugen Sie?
Ich mag dünnwandige Gläser. Wer es zelebrieren will, nimmt am besten eines mit Stiel – ein Weinglas oder auch eine Flûte passen gut.
Und worauf kommt es beim Geschmack an?
Der Geschmack ist abhängig von der Herkunft, wie lange das Mineralwasser in welchem Boden war und welche Spurenelemente es dabei aufnehmen konnte. Unser Wasser hat eine gewisse Süsse, was ich sehr schätze.
Mögen Sie eher Mineralwasser mit oder ohne Kohlensäure?
Das kommt ganz auf die Tageszeit an. Zum Apéro gerne mit, zum Essen oder vor dem Schlafen gerne still. Wie übrigens auch am Morgen.
Mineralwasser nimmt in Ihrem Leben eine herausragende Rolle ein. Schuld daran ist Ihr Grossvater.
Genau. Mein Grossvater mütterlicherseits hat das Kurhaus in Gontenbad in den 1920er-Jahren übernommen. Damals wurde hier noch gebadet. Aber das Geschäft mit dem Kuren lief nicht mehr so gut wie noch vor dem Ersten Weltkrieg. Die Gäste aus Deutschland, Frankreich und England blieben mehr und mehr aus. Deshalb mussten meine Grosseltern schon bald wieder verkaufen. Sie behielten aber die Quellrechte und einen Teil des Bodens zurück und begannen Anfang der 1930er-Jahre, Appenzeller Mineralwasser in Flaschen abzufüllen. Heute würde man sagen, sie haben ein Start-up gegründet.
Von Ihren Grosseltern ging das Unternehmen auf Ihre Eltern über …
… Ja, ab 1956 führte es mein Vater …
… Sie selbst sind während Ihrer ersten 16 Lebensjahre neben der Abfüllerei aufgewachsen. Träumten Sie damals schon davon, einst den Betrieb zu übernehmen?
Überhaupt nicht, ich schlug einen ganz anderen Weg ein und wurde Kindergärtnerin. Als unser Papa 60 war, fragte er mich und meine Schwester, ob wir uns vorstellen könnten, dereinst ins Geschäft einzusteigen. Aber weder für mich noch für sie kam das damals in Frage. Wir waren glücklich in unseren Berufen und legten die Sache damit ad acta.

«Gute Ideen entstehen immer im Zusammenspiel.»
Und doch vollzogen Sie einen Sinneswandel.
Ich wurde Schulleiterin in St. Gallen, wo ich plötzlich für 40 Kindergärten zuständig war. Da realisierte ich erstmals, dass mir Führen eigentlich noch liegt und ich Spass daran habe. Und so kam ich ins Grübeln. Statt einer Schule könnte ich doch genauso gut ein Unternehmen leiten? Aus heutiger Perspektive vielleicht ein bisschen naiv. Jedenfalls kam ich zum Schluss: Doch, das mache ich!
Lieben Sie das Risiko?
Mein Mann sagt ganz klar ja. Es gehört tatsächlich ein wenig zu meinem Naturell, Risiken einzugehen, aber gleichzeitig immer abzuschätzen, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Ich sagte mir: Sollte es mit der Mineralquelle nicht funktionieren, könnte ich sie ja immer noch verkaufen.
Haben Sie das Risiko richtig eingeschätzt?
Was ich unterschätzt hatte, war die veraltete Infrastruktur in Gontenbad. Um sie zu erneuern, brauchten wir viel Geld, das wir nicht hatten. Wir konnten es aber durch die Ausgabe neuer Aktien und mithilfe der Wirtschaftsförderung und der Banken auftreiben. Nur, damit war klar: Jetzt kannst du nicht mehr einfach verkaufen.
Warum das?
Viele Menschen hatten mir ihr Vertrauen – und ihr Geld – gegeben. Für mich war damit klar: Jetzt müssen wir es packen.
Offenbar mit Erfolg. Aus den sieben Mitarbeitenden bei Ihrer Übernahme sind heute 80 geworden.
Die Investitionen, die wir machten, waren nur möglich, weil wir an die Zukunft glaubten, durch alle Böden hindurch.
Wie stellten Sie das an?
Um mit Konsumgütern am Markt attraktiv zu sein und zu wachsen, muss man den Zeitgeist erwischen – oder noch besser vorwegnehmen.
Sie sprechen von Flauder.
Genau. Mit unserem Flauder, das 2002 auf den Markt kam, hat alles gepasst: neben dem Geschmack mit Holunderblüte und Melisse und der eigenständigen Flasche insbesondere auch der Name: Flickflauder ist ja ein Schmetterling auf Appenzellisch. Wir brachten damit etwas Regionales auf die Flasche. So konnte uns auch niemand kopieren. Auf dem Produkt Flauder konnten wir aufbauen. Wir haben über die Jahre viele verschiedene Flauder-Getränke lanciert, später auch andere Produkte, und schliesslich kreierten wir die Flauderei in Appenzell, einen Ort, wo man die Marke hautnah erleben kann.
Wer hatte die zündende Idee dazu?
Gute Ideen entstehen immer im Zusammenspiel, ich bin es nie allein gewesen. Im Dialog gibt es einfach die besseren Lösungen. Wir haben im Unternehmen das «Forum Zukunft», eine Runde, in der wir uns etwa acht Mal im Jahr treffen. Neben der Geschäftsleitung und dem Marketing, die immer dabei sind, holen wir uns jeweils zwei Gäste dazu: jemand aus einer anderen Abteilung und jemand von aussen – das kann ein Kunde sein, ein Goldschmied oder die Kuratorin eines Museums. Gemeinsam diskutieren wir, was gerade ansteht: eine neue Etikette für unsere Limos, einen Namen für ein neues Produkt aus der Manufaktur oder das Design einer neuen Flasche.


«Ich habe jetzt halt schon früh mit Aufhören angefangen.»
Innovation ist also ein Prozess?
Ja, man muss Innovation initiieren, befördern und im Unternehmen verankern. Im Alltag kommt das sonst zu kurz, die Tage fressen einen auf – immer ist die Mailbox voll, immer rufen die Kunden, immer gibt es Mitarbeitende, die ein Gespräch wollen.
Sie betonen immer wieder das Ineinandergreifen von Wertschöpfung, Wertschätzung und Werthaltung. Was verstehen Sie darunter?
Es ist eigentlich ganz einfach. Als Unternehmerin bist du einerseits immer vom Markt und den Mitarbeitenden gefordert, anderseits bist du eingebettet in eine Wirtschaftsregion und eine Tradition. In diesem Spannungsfeld müssen wir Geld verdienen – also Wertschöpfung erzielen. Ohne geht es nicht. Wir müssen dabei aber die Vergangenheit und das aktuelle Umfeld berücksichtigen und respektieren. Das meine ich mit Wertschätzung. Bei der Werthaltung schliesslich geht es um Fragen der Ökologie und der sozialen Verantwortung: Wie bewerte ich etwas? Was können und wollen wir uns leisten? Wie begegnen wir einander? Es ist ein ständiges Austarieren – das finde ich am Unternehmertum wahnsinnig spannend.
Wie gehen Sie vor, um diese Balance zu halten?
Der Schlüssel ist die Kreativität. Wir wollen immer von Neuem Wege finden, um die Balance und die Einzigartigkeit, die uns ausmacht, zu erhalten und weiterzuentwickeln. In der Schweiz gibt es ja eine ganze Menge Mineralwasserquellen. Die Einzigartigkeit und die Emotionalität unserer Produkte sind deshalb entscheidend.
Sie haben vor drei Jahren die Mehrheit an Ihrer Firma verkauft und die Geschäftsleitung verlassen, sind aber noch VR-Präsidentin. Was hat Sie zu diesem Schritt veranlasst?
Der Anstoss kam eigentlich von aussen: Mitte fünfzig fragten mich die ersten VR-Mitglieder, wie denn eigentlich meine Nachfolgeplanung aussehe. Zu Recht, nur dachte ich erst einmal: Das hat jetzt doch noch keine Eile. Bald begannen aber auch erste Mitarbeitende zu fragen. Und ich merkte: Ich muss das ernst nehmen, ich wurde ja nicht jünger. Also haben wir eine Projektgruppe gebildet, um verschiedene Varianten zu prüfen.
Verkauft haben Sie schliesslich an die F. G. Pfister Stiftung. Haben Sie nach einer Stiftung gesucht?
Nein, aber wir haben gemerkt: Würden wir mit einem grösseren Unternehmen zusammengehen, hätten wir in kürzester Zeit eine neue Führung und eine neue Philosophie, nämlich die des grösseren Unternehmens. Das wollten wir nicht. Es ging auch hier um Wertschätzung und Werthaltung. Wir haben in 25 Jahren eine Basis geschaffen, aus der auch noch eine nächste Generation etwas machen kann. Es ging darum, für uns die richtige Lösung zu finden. Und die haben wir mit der F. G. Pfister Stiftung gefunden.
Sie waren genau 60, als Sie verkauften, gleich alt wie Ihr Vater, als er verkaufen wollte. Ein Zufall?
Ja, mein Vater wollte mit 60 verkaufen, aber bis ich dann endlich kam, war er bereits über 70. Aber mit 70 möchte diesen Job eigentlich niemand mehr machen. Darum ist es auch richtig, dass jetzt wieder Menschen mit neuem Elan, neuem Blick und neuem Wissen in der Geschäftsleitung sind. So ergeben sich wieder neue Chancen.
Wie empfinden Sie den Prozess des Älterwerdens?
Als Herausforderung. Nichts, was man mit links macht. Es gibt ja den berühmten Spruch «Altern ist nichts für Feiglinge». Da ist viel Wahres dran. Ich glaube, wenn man sich tatsächlich an der Nase nimmt, viel reflektiert und das Hirn und den Körper immer wieder bewusst anders erfahren kann, bleibt das Leben äusserst spannend und lebendig. Natürlich wissen wir nicht, was noch alles kommt; es wird mit Sicherheit auch viel Schwieriges dabei sein. Aber dann einen Boden unter den Füssen zu spüren und immer wieder Chancen zu sehen, gibt Weite und hat viel Gutes.
Macht Sie das Alter mutiger oder ängstlicher?
Beides. Aber wenn wir die Angst zulassen, wird es anstrengend. Das merkt man schon an kleinen Dingen, etwa wenn man sich nicht getraut, etwas zu fragen, weil es peinlich sein könnte und man ja nicht die alte Frau sein will, die nicht mehr drauskommt. Aber genau das möchte ich tun! Fragen, interessiert sein und mich berühren lassen. Andererseits hat man im Alter eine andere Perspektive als jüngere Menschen, einfach, weil man nicht mehr 50 Jahre vor sich hat, sondern vielleicht nur noch 10 oder 20. Mann kann deshalb eine Sache auch einmal mutiger vertreten. Das geht im Alter einfacher.
Wie ist Ihr Verhältnis zu jüngeren Menschen?
Ich finde die Altersdiversität und das Zusammenspiel von Erfahrenen und weniger Erfahrenen in einem Unternehmen matchentscheidend. Aber auch privat finde ich es wichtig, dass man auch jüngere und ältere Freundinnen und Freunde hat. Ich habe überdies das Glück, dass mein Mann zwei Kinder aus erster Ehe hat. Der eine ist jetzt gerade selbst Vater geworden – ich bin also Oma, oder besser gesagt, Bonus-Nonna. So haben wir bei uns junge Leute im Haus, die uns auch mal den Spiegel vorhalten.
Sie werden in zwei Jahren offiziell pensioniert. Wird das ein grosser Einschnitt werden?
Ich glaube nicht, weil ich jetzt halt schon früh mit Aufhören angefangen habe. Seit gut einem Jahr haben wir noch unseren Hund Winnie. Wir haben ihn mit 13 Monaten übernommen, mit einer schwierigen Vorgeschichte. Eine grosse Kiste, viel grösser, als ich gedacht habe. Aber das hilft in dieser Lebensphase gerade sehr.
Zur Person
- Gabriela Manser wurde am 3. Februar 1962 geboren und wuchs in Gontenbad AI auf.
- Manser arbeitete zunächst als Kindergärtnerin und Schulleiterin in St. Gallen. 1999 übernahm sie in dritter Generation den Familienbetrieb, die Goba AG, Mineralquelle und Manufaktur.
- Unter ihrer Leitung wuchs das Unternehmen von sieben Mitarbeitenden 1999 auf heute ca. 80. 2002 wurde die «Flauder»-Linie lanciert, 2014 eröffnete die «Flauderei» in Appenzell.
- 2022 verkaufte Gabriela Manser 90 Prozent der Firma an die F. G. Pfister Stiftung. 2023 gab sie die Geschäftsleitung ab und konzentriert sich seither auf das Präsidium des Verwaltungrats. Zusätzlich ist sie Mitglied im Stiftungsrat der F. G. Pfister Stiftung.
- Gabriela Manser ist verheiratet mit Urs Fueglistaller, Professor für Unternehmensführung an der Uni St. Gallen. Die beiden leben in Trogen AR.
Flauder und die Flauderei
Mit Flauder wurde die Goba AG (Mineralquelle Gontenbad) Anfang der 2000er-Jahre national bekannt. Die leichte Limonade mit Holunderblüten- und Melisse-Geschmack ist auch heute noch in der ganzen Deutschschweiz erhältlich. Über die Jahre sind etliche Geschmacksrichtungen dazugekommen, daneben auch alkoholfreie Apéros wie Manzoni Spritz und Amicero Spritz und eine Vielfalt an Manufakturprodukten wie Sirup, Konfitüren, Kräutersalze, Pralinen und Nidelzeltli.
In der «Flauderei» mitten in Appenzell kann man die Marke seit 2014 mit allen Sinnen erfahren. «Hier wird unsere Philosophie spürbar, es geht ums Erleben und Erfahren – über die Nase, das Auge, das Ohr und natürlich über das Probieren», sagt Gabriela Manser. Die Flauderei ist Concept-Store und Begegnungsort in einem. Vier Mal im Jahr wird das Lokal umgestaltet. Manser: «Das hat seinen Ursprung natürlich bei mir als Kindergärtnerin, wo wir mit den Kindern auch thematisch gearbeitet haben.» Das aktuelle Thema ist «Zum kleinen grossen Glück».