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Ein Herz für Schneeglöggli

Manche Hobbygärtnerinnen und -gärtner lassen sich von einzelnen Pflanzenfamilien begeistern. Der Appenzeller Yanik Neff beispielsweise ist ein leidenschaftlicher Schneeglöckchen-Fan. Er sammelt und vermehrt die Frühlingsblüher – und fasziniert damit unseren Gartenpöstler.

«Erst durch Leidenschaften lebt der Mensch – mit Vernunft existiert er bloss», schrieb einst der französische Dramatiker Nicolas Chamfort (1741–1794). Er meinte damit wohl, dass wir erst dann zu wahrer Erfüllung finden, wenn wir uns für eine Herzensgelegenheit, die Familie oder die Arbeit aus vollem Herzen engagieren. Wahrscheinlich stimmt sein Merksatz sogar: Ohne inneres Feuer bleibt der Ofen kalt und damit das Potenzial des Lebens unausgeschöpft.

Ich würde gern von mir behaupten, dass auch mein innerer Kompass einer ganz bestimmten Passion folgt, denn der Ausblick auf Seelenglück ist verlockend. Doch leider bin ich dazu viel zu unstet. Denn zu wahrer Leidenschaft gehört auch Konstanz, sich über längere Zeit auf etwas einzulassen und sich durch nichts davon ablenken zu lassen. Und genau das geht mir ab. Mich interessieren einfach zu viele Dinge, als dass ich mich auf ein einzelnes Themenfeld konzentrieren mag. Folglich komme ich nie ganz über die Vorstufe der Leidenschaft hinaus, kann nur allerlei Spleens vorweisen. Oder wie es meine Mutter zu sagen pflegte: Wo ich bin, da sind Fürze.

Spleens sind die Vorstufe zur Leidenschaft

Da mir selbst Leidenschaft abgeht, faszinieren mich Menschen umso mehr, die eine für sich entdeckt haben – und darin eine Heimat finden. Mich rührt es geradezu, wenn jemand sein gesamtes Herzblut in ein Themenfeld fliessen lässt, sich profund darin auskennt, ohne sich darauf etwas einzubilden. Im Grünen Bereich sind derartige Frauen und Männer erstaunlich oft anzutreffen. Manche Hobbygärtnerinnen und -gärtner sind Feuer und Flamme für den Naturgarten, kennen die Eigenheiten aller Wildarten. Andere wiederum hegen und pflegen zuhauf Rosensorten und kennen die Besonderheiten jeder einzelnen Dornen-Königin. Unlängst lernte ich eine Bernerin kennen, die in ihrem Gartenreich hoch über dem Brienzersee vor allem Pfingstrosen kultiviert und schon fast alle Herkunftsländer dieser Stauden bereist hat. China, Japan, die Mongolei. Auch sie kennt die verwegensten Geschichten ihrer Lieblingsstauden, in jeder schwingt pure Leidenschaft mit.

Müsste ich mich für eine Pflanzenfamilie entscheiden, wollte ich mir den Kopf verdrehen lassen: dann für die Frühstarterinnen, die im späten Winter Farbtupfer in die grauen Tage setzen. Mich fasziniert es ungemein, wie Winterlinge & Co trotz beachtlicher Kälte ihren Turbo zünden und in kurzer Zeit zu blühen beginnen. Die dafür erforderliche Power schöpfen sie aus ihren Zwiebeln und Knollen. Darin lagern sie in ihrer Wachstumsphase Nährstoffe ein, die den Schnellstart erst möglich machen.

Allein das böte allerlei Stoff für eine Leidenschaft. Der Ausserrhoder Yanik Neff lässt sich davon begeistern. Der 30-Jährige, der eine Zivilschutzkompanie in seinem Kanton leitet und mit seiner Partnerin und zwei British-Shorthair-Katzen zusammenlebt, sammelt und züchtet Schneeglöckchen (Galanthus). Er ist rundum fasziniert von den hübschen Frühlingsboten, die trotz ihrer Zartheit bereits im Januar Blüten tragen – und damit auf den Frühling verweisen, wenn die allermeisten anderen Gartenpflanzen noch in der Schockstarre liegen. Diese Kraft und die ungemeine Vielfalt, die in der Galanthus-Gattung  zu finden sind, fasziniert Yanik Neff seit nunmehr elf Jahren. Und noch immer strahlen seine Augen heller als die Nordlichter, kommt er auf «seine Schneeglöckchen» zu sprechen. Doch alles von Anfang an.

Yanik Neff kultiviert 2500 Schneeglöckchen-Sorten

Es war ein sonniger Wintertag, als Yanik Neff den botanischen Garten in St. Gallen besuchte und dabei per Zufall am Beet voller Schneeglöckchen (Galanthus) vorbeispazierte. Dabei fiel dem studierten Landschaftsarchitekt auf, wie unterschiedlich die Frühstarter sein können. Manche Sorten tragen gefüllte, andere glockige oder pagodenförmige Blüten, andere wiederum sind gepunktet, gestreift oder gefranst. Über 3000 Zuchtsorten sind weltweit notiert, doch das Spektrum dürfte weit grösser sein. Denn Schneeglöckchen vermehren sich nicht sortenrein, bringen folglich immer wieder neue Variationen hervor. Entsprechend viele Galanthus-Sorten bleiben unerkannt.

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Das weckte den Forschergeist von Yanik Neff. Also begann der Ostschweizer nach dem Ausflug in den Botanischen Garten umgehend, sich in dieses Themenfeld einzulesen – er bestellte gleichentags die ersten Sorten. Mittlerweile hortet er über 2500 davon. Mit den ersten Fundstücken bestückte er ein Hochbeet, und als dieses vollgepflanzt war, baute er ein zweites. In der Folge zügelte er seine Findlinge in einen Folientunnel, um mehr Platz und Schutz zu bekommen. Aktuell kultiviert er seine Schätze in einem Gewächshaus in Waldstatt AR. Dort vermehrt und verkauft er sie an andere Interessierte. Über 50 000 Knollen liefert er schweizweit aus. Um den Austausch mit anderen Schneeglöckchen-Fans zu intensivieren, half Yanik Neff mit, den «Verein Galanthophile Schweiz» zu gründen. Die 30 Mitglieder setzen sich unter anderem auch für Wildbestände ein und steigen regelmässig in ihre Wanderschuhe, um wildwachsende Schneeglöckchen-Kolonien in abgelegenen Gegenden zu erkunden. Die Fangemeinde ist im Ausland beeindruckend gross, vor allem in Grossbritannien und Deutschland. Das teuerste Zwiebelchen wurde unlängst für über 3000 Franken gehandelt.

Yanik Neff gilt mittlerweile als wichtigster Schneeglöckchen-Experte des Landes. Wenn er von der Herkunft, der Biologie und den Besonderheiten seiner Favoriten spricht, möchte man ihm stundenlang zuhören. Denn in seinen Ausführungen schwingt dermassen viel Liebe und Leidenschaft mit, dass man sogleich den ganzen Garten für die Glöggli umgraben möchte. Doch wie eingangs erwähnt, funken mir meine Gene dazwischen. Mein Herz schlägt genauso stark für Wildrosen, Geranien und Dahlien. Für einzelne Pflanzengruppen bleibt in meinen Beetreihen folglich zu wenig Platz. Mir ist das bunte Knuddelmuddel weit lieber, wie ich es in meinem Reich hege und pflege. Dieses Faible kommt einer Leidenschaft ganz nahe. Immerhin.


Wer mehr zu Yanik Neff und seinen Schneeglöckchen erfahren will. Der Ostschweizer hat eine Homepage mit Online-Shop eingerichtet: www.swiss-drops.ch

Der Gartenpöstler

Roland Grüter, Gartenkolumnist der Zeitlupe

© Jessica Prinz

Roland Grüter (62) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Heute lebt er in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.

Beitrag vom 09.02.2023

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