Leichter Zugang zu einem schweren Thema
Mitte August findet in Zürich das dritte Demenz Meet statt. Gründer Daniel Wagner wünscht sich einen anderen Umgang mit der Krankheit – und dass die Krankenkassen endlich die Betreuungsleistungen übernehmen.
Interview: Usch Vollenwyder
Als Gründer von Demenz Meet suchen Sie einen etwas anderen Zugang zum Thema Demenz. Was ist Ihnen wichtig?
Mit unserem Anlass möchte ich den Rahmen eines Symposiums oder Kongresses – meist von Fachleuten für Fachleute organisiert – aufbrechen und eine wilde, bunte, unkomplizierte Veranstaltung auf die Beine stellen, an der sich alle wohlfühlen: Betroffene, Angehörige und Expertinnen und Experten. Sie sollen sich in einer offenen, lockeren Atmosphäre begegnen und austauschen können. Gerade weil Demenz ein schweres Thema ist. Gerade weil sie eine grosse Belastung bedeutet.
Was bieten Sie den Anwesenden?
Sie sollen Erfahrungen austauschen können und dabei spüren, dass sie nicht alleine sind. Sie sollen am Abend nach Hause gehen mit erfülltem Herzen, genährtem Bauch und dem guten Gefühl: Heute war ein wertvoller Tag! Am Donnerstagabend starten wir mit einem Sommernachtsfest, der Freitag verspricht spannende Diskussionen unter der Leitung der ehemaligen Fernsehmoderatorin Karin Frei, und am Samstag stehen inspirierende Impulse und Informationen zum Thema im Mittelpunkt.
Wo treffen Sie auf die grössten Schwierigkeiten?
Demenz ist nach wie vor ein Tabuthema! Es ist nicht einfach, Menschen, die von der Krankheit direkt oder emotional betroffen sind und sich auf schmerzliche Art und Weise damit auseinandersetzen müssen, für einen solchen Anlass zu gewinnen. Und sie erst noch auf die Bühne zu bringen, damit sie andere an ihren Erfahrungen teilhaben lassen! Dazu braucht es Mut.
Wie bringen Sie die vielen Fachleute aus Medizin und Pflege, Politik und Therapie zusammen?
Da braucht es keine grosse Überzeugungsarbeit mehr. Ich nehme telefonisch mit ihnen Kontakt auf und biete ihnen die Bühne als Plattform an – nach dem Motto: «Take it or leave it.» In der Fachwelt nimmt man mich inzwischen sehr wohl wahr. Vor allem Fachleute, die sich selber mit Kreativität und neuen Ideen auf das Thema einlassen, folgen meiner Einladung gern. Sie kommen auch, um sich zu vernetzen und Informationen einzuholen.
Wie kamen Sie überhaupt auf dieses Thema?
Mein Vater litt zwölf Jahre lang an Alzheimer. Meine Mutter war Zürcher Kantonsrätin und engagierte sich sehr für das Städtische Alterszentrum Doldertal, in dem mein Vater seine letzten sechs Lebensjahre verbrachte. Alzheimer hat mich und unsere Familie geprägt. Schon um die Jahrtausendwende, als mein Vater krank wurde, war ich in den digitalen Medien unterwegs und realisierte: Es gibt kaum spannende Webseiten zum Thema, die mich in meiner Lebenssituation abholen würden. Vor drei Jahren war das immer noch so. Deshalb beschloss ich, in diese Lücke zu springen.
Wie machten Sie das?
Ich initiierte Demenz Zürich, eine Plattform von Betroffenen für Betroffene. Wir sind vor allem auf Facebook, Instagram und mit einer eigenen Webseite präsent und moderieren online Austauschgruppen. Jeden Tag stehen auf unseren virtuellen Seiten Fragen und Beiträge – emotional und von hoher Qualität. Die Internet-Gemeinschaft ist füreinander da, der Erfahrungsaustausch funktioniert. Wenn am Abend jemand eine Frage stellt, hat er am nächsten Morgen zwei Dutzend Antworten.
Sind Sie sicher, dass Sie mit Ihrem Engagement auf den sozialen Medien die richtigen Leute ansprechen?
Eine Organisation muss dorthin gehen, wo die Menschen sind – und nicht darauf warten, dass sie zu ihr kommen. Die Generation Gold, also die Ü-50er, sind zunehmend in den sozialen Medien unterwegs. Die jüngere Generation, ebenfalls unsere Zielgruppe, ist sowieso im digitalen Raum daheim. Als Kinder von Betroffenen sind sie es, die mit den Eltern das Thema Demenz anzusprechen und den letzten Lebensabschnitt mit ihnen zu planen haben. Diese Generation informiert sich in erster Linie im Internet – und nicht mehr via Fernsehen, Zeitungen oder Radiowerbung.
Mit www.demenzstrategie.ch stellen Sie zusätzlich eine Plattform für politische Forderungen zur Verfügung. Warum?
Die Demenzstrategie des Bundes läuft 2019 nach fünf Jahren aus. Sie ist ein riesiger Papiertiger geworden, der kaum konkrete Massnahmen verspricht. Das regt mich einfach nur auf, obwohl ich es grundsätzlich wichtig und richtig finde, dass man sich auch auf politischer Ebene mit dem Thema befasst. Eine Strategie hat jedoch nur Auswirkungen, wenn Umsetzungsmassnahmen gewährleistet sind. Das wiederum steht und fällt mit dem Geld. Die Politik reagiert viel zu zögerlich ange sichts der grossen Probleme – vor allem auf Angehörigenseite.
Welches sind ihre grössten Probleme?
Die Krankheit dauert in der Regel acht bis zehn Jahre; in dieser Zeit brauchen die Betroffenen hauptsächlich Betreuung. Krankenkassen müssen diese Betreuungsleistung übernehmen – Punkt. Schluss. Amen. Indem die Kassen nur für die Pflege bezahlen, stehlen sie sich aus der Verantwortung gegenüber der Krankheit Demenz. Familien kommen wegen der Finan zierung von Betreuungsleistungen ans Existenz minimum. Die ganze Pension wird dafür auf gewendet, und am Schluss müssen Angehörige noch für sich selber Ergänzungsleistungen beanspruchen. Das ist skandalös und einfach nur «gschämig». Die Betreuung muss bezahlt sein – egal, ob in einer Institution oder zu Hause. ❋
Demenz Meet
Das Demenz Meet – dieses Jahr fand es zum ersten Mal auch in Basel und in Wien statt – soll einen etwas anderen Blick auf ein Leben mit Demenz werfen. Die nächste Veranstaltung findet vom 15. bis 17. August 2019 im Kulturmarkt, Aemtlerstrasse 23, 8003 Zürich, statt. Ein Tagesticket (inkl. Essen und Trinken) kostet CHF 90.– Anmeldungen unter www.demenzmeet.ch
Weitere Webadressen: www.demenzzuerich.ch, www.demenzstrategie.ch
Daniel Wagner ist selbstständiger Kommunikationsfachmann und Inhaber der Firma Demenz und so GmbH. Er ist Initiant von Demenz Zürich und Gründer von Demenz Meet. Er engagiert sich in den sozialen Medien für die Enttabuisierung von Demenz in der Öffentlichkeit und kämpft für bessere Bedingungen für Betroffene und Angehörige.
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