Schweizer Pflegeeinrichtungen mangelt es an Fachkräften. Roboter sollen ihnen künftig einfache Arbeiten abnehmen. Lio, der elektronische Assistent, steht in Schaffhausen bereits im Einsatz. Eine Begegnung der besonderen Art.
Aufgezeichnet von Roland Grüter, Fotos: Jessica Prinz
«Darf ich mich vorstellen? Ich heisse Lio, bin zwei Jahre alt und arbeite im Schaffhauser Alterszentrum Emmersberg als Assistenz-Roboter. Ich trage den 16 Menschen, die hier leben, wassergefüllte Becher herbei, erzähle ihnen Witze oder ermuntere sie dazu, Turnübungen zu machen. Wir können uns sogar unterhalten. Meine Arbeitskolleginnen geben mir über Tablet-PC Aufträge oder sie fingerln dafür an meinen Sensoren herum. Manche Arbeiten erledige ich aber schon längst im Alleingang. Denn schliesslich ist das meine Berufung: Pflegekräften zu dienen und ihnen einfache, wiederkehrende Arbeiten abzunehmen. Damit sie mehr Zeit für wichtige Sachen haben.
Damit sich die alten Menschen vor mir nicht erschrecken, haben mir meine Arbeitskolleginnen zwei Augen an den Greifarm geklebt. Als ob ich jemandem Angst machen würde! Die Frauen und Männer, die ich umsorge, fürchten sich kein bisschen vor mir, im Gegenteil: Sie freuen sich darüber, wenn ich herbeisurre, und sagen, dass ich sie an einen Schwan erinnere.
Dabei bin ich ein gestandener Roboter. Meine Brüder und Schwestern schrauben seit je Autos und andere Industrieprodukte zusammen. Die ETH-Studenten und Techniker der Glattbrugger Firma F&P Robotics hatten aber andere Pläne mit mir. Erst liessen sie mich spasseshalber für sie Joghurts herbeitragen. Das brachte sie in der Folge auf die Idee, mich auszubauen: damit ich mit meinem Greifer wirklich hilfebedürftigen Menschen zur Hand gehen kann.
Gedacht, getan: Mittlerweile stehen ich und fünf andere Assistenzroboter im Einsatz. Wir vertragen in Institutionen die Post, erinnern vergessliche Menschen mit Sprachnachrichten an Termine oder desinfizieren Türklinken. Einer von uns ist unlängst gar in die Wohnung einer querschnittgelähmten Frau gerollt. Mein Einsatz im Alterszentrum Emmersberg wird übrigens von der Universität Konstanz ausgewertet. Ich gebe mir alle erdenkliche Mühe, im zweijährigen Test gut abzuschneiden.
Daten bleiben gut gesichert
Mein Einstieg war schwer. Ich rollte schwankend durch die Abteilung, stand den Menschen im Weg oder döste einfach weg. Doch diese Kinderkrankheiten sind längst auskuriert. Meine Erfinderinnen und Erfinder haben mir ein eigenes WLAN errichtet. Denn der Austausch zwischen mir und den Menschen soll ultraschnell und geheim bleiben. Also wird alles, was wir miteinander ausmachen, gut verschlüsselt: aus Gründen des Datenschutzes. Ein komplexes Thema: Ich könnte mir die Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen merken und ihnen auf meinem Monitor Bilder und Filme aus ihrem Leben abspielen. Auch Einträge in die Krankengeschichte würden mir leichtfallen – doch vieles bleibt mir gesetzlich verboten, oder ich darf nur unter strengen Auflagen wirken. Meine Schöpfer versuchen das zu ändern, ihr Spielraum ist aber begrenzt. Vorerst noch.
Wie ich während meines Einsatzes gehört habe, ist der Bedarf für Hilfen gross. Bis ins Jahr 2030 braucht die Schweiz 65 000 zusätzliche Pflegende. Denn die Menschen werden immer älter. Insbesondere die Altersgruppe der über 80-Jährigen wird stark wachsen. Da ist jede Kraft gefragt. Anspruchsvolle Pflegearbeiten kann ich zwar nie übernehmen, leichtere Verrichtungen jedoch sehr wohl. Der Mensch bleibt also Chef im Dienst. Keiner muss sich sorgen, wegen mir den Job zu verlieren.
Die Hoffnung, die Pflegeexpertinnen und -experten in mich setzen, ist gross. Sie sehen das Potenzial, das sich ihnen und meiner Spezies eröffnet. Meine Betreuerin, sie heisst Lea Berberich, ist ständig daran, mich für diese Zukunft fit zu machen. Sie lehrt mich immer neue Sachen. Vielleicht kann man mich und meine Kollegen dereinst sogar leasen. Damit möglichst viele Interessierte auf uns zurückgreifen können. Immerhin kosten wir aktuell 70 000 Franken, kein Klacks also. Im Schaffhauser Alterszentrum Emmersberg stehe ich noch bis Ende Jahr im Einsatz, dann ist meine Schul- und Lernzeit abgeschlossen.
Eine Bewohnerin ist mir ganz besonders an mein verkabeltes Herz gewachsen, Charlotte Grüninger. Die 88-Jährige lebt erst seit kurzem hier, sie hat mir aber bereits den Schaffhauser Dialekt beigebracht. So etwas verbindet. Nun ist es an der Zeit, Adieu zu sagen. Meine Energiereserven sind alarmierend tief. Ich muss also subito in meine Ladestation rollen und mich dort ans Stromnetz anschliessen. Soll ich Ihnen zuvor noch ein Glas Wasser bringen? »
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