In Zeiten des Coronavirus lernt man auch all jene Menschen neu schätzen, die einen seit Jahren bekochen – wie die Tochter und Mutter des Zürcher Thai-Lokals Take Easy. Ein Porträt.
Text: Fabian Rottmeier
Kürzlich habe ich in der Küche des «Take Easy» für Nervosität gesorgt. Anders als üblich hatte ich mein Lieblingsgericht mit Schweine- statt Pouletfleisch bestellt. «Mit Schwein?! Unmöglich!», sagte Sudaporn «Ohm» Khamsuk zu ihrer Mutter, als sie sah, was bei dieser in der Pfanne brutzelte. «Er nimmt immer Poulet!» Diesmal habe er Schwein bestellt, entgegnete Phensri Bettiga. Recht hatten beide.
Die Episode zeigt, wie sorgfältig und aufmerksam das Duo sein kleines Thai-Restaurant führt. Ich bin seit über zehn Jahren regelmässig zu Gast und seit ich nach einem Umzug des Lokals für ein Pad Prik Gäng ins Stadtzentrum und durch halb Zürich fahre, werde ich nicht nur herzlich wie immer, sondern fast schon überschwänglich begrüsst.
Die Zutaten sind beinahe alle
Trotz Sprachbarriere – beide sprechen wenig Deutsch – haben wir uns schätzen gelernt. Und doch kenne ich sie kaum. Deshalb begleitet mich Dolmetscherin Rangsinee Ritter-Amorndecho, als ich das Mutter-Tochter-Gespann am ersten Tag der Coronavirus-Schliessung besuche. Die Perfektionistinnen sind auch wegen der Fotos etwas nervös und besorgt. Denn sie hätten kaum noch Zutaten. Im Stadtzürcher Lokal, wo sich sonst rund 80 Personen täglich etwas zu essen holen oder auf einem der 16 Stühle Platz nehmen, herrscht gespenstische Ruhe.
Pächterin und Inhaberin des Take Easy ist die 36-jährige Tochter, die sich in der Schweiz allen als «Ohm» vorstellt. Seit elf Jahren leitet sie das Lokal. Begonnen haben sie und ihre Mutter in Zürich-Wiedikon – mit Erfolg. Auch Ohms Bruder und dessen Frau arbeiteten im früheren Lokal mit. Deren Kind wuchs praktisch dort auf. Am Fernseher lief meist tonlos «Eurosport», in der Küche ein thailändischer Fernsehsender. Sie expandierten, eröffneten das «Take Easy 2». Eine grosse Belastung. Ohm Khamsuk arbeitete fast täglich an beiden Standorten. Vor zwei Jahren zog sie einen Schlussstrich – und schloss den alten Standort. Der Gesundheit zuliebe, wie Mutter und Tochter erzählen. Im neuen Lokal beschränke sich die hektische Zeit auf die Mittagsstunden. Abends sei oft wenig los. Es passt den beiden und erlaubt es der Tochter, einen Deutschkurs zu besuchen. Ausser sonntags ist das Duo von morgens bis abends spät immer am Arbeiten.
Sie seien ein eingespieltes, gutes Team, sind sie sich einig. Meinungsverschiedenheiten gebe es selten, etwa dann, wenn Kunden auf ihr Essen warten und Ohm ihrer Mutter deswegen Beine macht. Gerade mal zwei Herdplatten hat die kleine Küche.
Das Duo teilt sich seit Ohms Scheidung von ihrem thailändisch-schweizerischen Mann auch die Wohnung. Auch Phensri hat bereits eine Scheidung in Thailand hinter sich. Bei einem Urlaub hierzulande verliebte sie sich vor 15 Jahren in einen Schweizer – und heiratete ein zweites Mal. Ihre Tochter folgte ihr vier Jahre später in die Schweiz mit der Idee, ein Restaurant zu eröffnen. Die Mutter war davor als Beamtin im Handelsministerium tätig gewesen, die Tochter hatte an der Universität Administration und Marketing studiert. «Unsere Beziehung ist hier viel stärker und enger geworden», sagt Ohm Khamsuk. Ihre Mutter gebe ihr Halt. «Sie ist meine Familie, meine Arbeit, mein Leben.» In Thailand seien Familienbetriebe die Norm.
Ein Leben ohne Laab? Lieber nicht!
Während Ohm hierzulande die Sicherheit und den Wechsel der Jahreszeiten schätzt, betont ihre 59-jährige Mutter, wie freundlich und hilfsbereit die Mitmenschen seien. Im Alter kann sie sich trotzdem vorstellen, in ihre Heimat zurückzukehren, da dort die ältere Generation nicht wie hier alleine wohne, sondern bei ihren Verwandten. Davor möchte sie am liebsten abwechselnd in beiden Ländern leben. Geboren und aufgewachsen ist Phensri Bettiga in der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz Roi Et nahe der laotischen Grenze – im Isaan-Gebiet. So erstaunt es nicht, dass das (meiner Meinung nach) beste der ingesamt 36 erhältlichen Gerichte von dort stammt: Laab, Ghackets mit roten Zwiebeln, frischer Pfefferminze, Limetten, Zitronengras und Chili. Ein Gedicht.
«Für Laab braucht es Herz und Übung», sagt Ohm Khamsuk. «Thailändisches Essen hat ganz unterschiedliche Geschmacksrichtungen», ergänzt Phensri. Es ist beiden wichtig, ihren Stammgästen immer denselben gewünschten Schärfegrad zu bieten. «Fingerspitzengefühl ist gefragt», sagt die Chefin. Die beiden kennen ihre Kundschaft genau. Als ich Ohm ein Foto eines Freundes zeigte, der oft im Take Easy isst, sagte sie: «Er bestellt immer Massaman Curry – aber nicht scharf.» Was sie von der Schweizer Küche halten? Ohm sagt, sie möge Rösti. Ihre Mutter verzieht das Gesicht: «Ausser Pizza schmeckt mir leider nichts.» ❋
❱ Infos: takeeasy.ch. Ich empfehle: Laab, Pad Prik Gäng, den Papayasalat, den Rindfleischsalat Nam Tok oder die würzige Tom-Yam-Suppe.
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