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«Amsterdam» von Jacques Brel Songs und ihre Geschichten

Er schrieb mehr als 130 Lieder, gab jedes Jahr hunderte von Konzerten, reiste um die ganze Welt: der aus Belgien stammende Sänger und Schauspieler Jacques Brel.

Text: Urs Musfeld

Brel dichtete und sang über alle Facetten des menschlichen Daseins: Liebe, Freundschaft, Tod, Fernweh, die Doppelmoral der Bourgeoisie, die katholische Kirche, seine flämische Heimat, die er liebte und hasste.

Es sind Lieder, zu deren Leid man immer schon tanzen konnte, bei denen Obszönes sinnlich wurde, bei denen Herz und Schmerz sich nie reimen, sondern nebeneinander liegen. Brel lebte seine Chansons mit jeder Faser seines Körpers. Er sang voller Pathos, dann plötzlich frivol und salopp, dann aggressiv und bösartig, voll von schwarzem Humor.

Brels schweisstreibende Auftritte sind legendär. Wenn er die Bühne betrat, geriet jede seiner Zeilen in Ekstase. Er bebte, schnitt Grimassen, schwitzte, und war nach einem Auftritt beinahe ein Kilo leichter als zuvor.

Tosende Uraufführung

Paris, Olympia, 16. Oktober 1964: 2000 Leute sitzen im Saal, um die Premiere von Jacques Brels Song «Amsterdam» zu erleben. Schlaksig, fast bewegungslos steht Brel vor seinem Standmikrofon. Erst mit der zweiten Strophe kommt seine expressive, fast spastische Gestik in Fahrt. Brel deutet Tanzschritte an, dreht sich im Walzertakt. Seine Bewegungen werden immer krampfartiger. Er ahmt das Schwanken eines Schiffes nach. Beim letzten Ton des Liedes erhebt sich das Publikum und spendet tosenden Applaus.

Jacques Brel, 1962. © wikimedia.org

«Amsterdam», ein Lied, das wohl wie kein anderes, unser kollektives Unterbewusstsein in Sachen Grachten-Metropole abbildet, ein Sittengemälde von Seeleuten auf Landurlaub: «Im Hafen von Amsterdam gibts Seeleute, die singen über die Träume, die sie verfolgen …».

Es ist ein Hafen voller Sehnsucht, Traurigkeit, Wollust und Trunkenheit: «Im Hafen von Amsterdam gibts Seeleute, die trinken und trinken…sie trinken schliesslich auf die Damen, die ihnen ihre hübschen Körper geben, die ihre Tugend hergeben für ein Stückchen Gold… und wenn sie reichlich getrunken haben, halten sie die Nase zum Himmel gestreckt, putzen sie mit den Sternen…».  

Es ist ein 2:40 -minütiges Mikrodrama, in dem scheinbar poetische Nichtigkeiten universelle Dimensionen bekommen. Der Song ist neben «Ne me quitte pas» Brels berühmtestes Chanson, wurde jedoch nie im Studio aufgenommen. Die Uraufführung, festgehalten auf dem Album «Olympia 64», ist damit die ultimative Version.

Urs Musfeld alias MUSI

Portrait von Urs Musfeld

© Claudia Herzog

Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams hat auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nachgelassen. Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik ohne Scheuklappen zu entdecken.

Beitrag vom 29.08.2019
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