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«Gänggele» mit Teenager 6. Oktober 2025

Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von der grossen Kleinen, die definitiv eine Grosse wird.

Herbstferien – «gänggele» ist angesagt. Ein- oder zweimal im Jahr gehe ich mit der grossen Kleinen auf Shoppingtour. Sie darf den Laden auswählen, ich bestimme das Budget, und dann wird eingekauft. Diesmal will sie in den «Müller» ins Zentrum Oberland Thun. Das sei der Grösste, der habe alles, was sie zum Schminken brauche: Foundation, Lipgloss, Eyeliner… Und Concealer, um die Pickel abzudecken. Ich sehe beim besten Willen nicht, was sie an ihrem Gesicht zu kaschieren oder zu verbessern hat. «Aber Grosi, das machen ALLE in meiner Klasse.» Und sowieso müsse man sich so schminken, dass man es eben grad NICHT sehe.

Der «Müller» ist tatsächlich riesig. Er ist genauso ein Laden, wie ich ihn in meinem Alltag tunlichst meide. Mit einem Überangebot und einer Auswahl von allem, was man fürs richtige Leben nicht wirklich braucht. Jedenfalls nicht als Grossmutter von bald 74 Jahren… Die grosse Kleine sieht das natürlich anders. Zielsicher steuert sie auf die Gestelle mit den unzähligen Produkten für Augen, Teint, Nägel und Lippen zu und vergleicht Farben, Grössen und Preise. Von Zuhause hat sie einen Fünfzehn-Franken-Gutschein mitgenommen, ich lege den gleichen Betrag dazu. Sie hat die Qual der Wahl. Nach einer Dreiviertelstunde ist ihr Kopf heiss vom Rechnen, mir tun die Füsse weh, und im Einkaufswagen liegt immer noch nichts.

Dafür weiss ich jetzt, dass es Foundation als Mousse, Creme oder Puder gibt und in Dosen, Tübchen oder Fläschchen verkauft wird. Nagellack gibt es in den Farben Mermaid oder Disco Glitter, Fairy Frost oder Pink Shimmer. Lipgloss heisst heutzutage Glazed Berry, Milky Ways oder Sweet Dream. Das alles gibt es auch noch in den Varianten bio, vegan oder natural. Die grosse Kleine vergleicht Fond de Teint in verschiedenen Brauntönen, fragt mich nach meiner Meinung und seufzt schliesslich: «Vielleicht würde ich die Schminksachen doch besser mit Mama einkaufen. Sie kennt sich damit besser aus als du.» Nach einer Stunde stelle ich ein zeitliches Ultimatum: noch zwanzig Minuten.

Nach einer weiteren halben Stunde ist es geschafft: Im Korb liegen zwei Lidschattenpaletten namens Wild Berry und Everyday Essentials, ein Ultra Concealer Matte und drei Eyeliner: Pink Stardust, Galactic Glitter und Cosmic Chrome. In der Halle des grossen Einkaufstempels kaufen wir bei einem Kiosk ein Cornet und setzen uns damit auf eine Bank – sie rundum zufrieden, ich müde vom Stehen und Warten.

Während wir am Eis schlecken, kommt doch noch die Kleine von einst zum Vorschein: «Grosi, kommst Du mit in den oberen Stock?» In der Tierhandlung habe es nämlich Hamster, Kaninchen und Mäuse, und ganz viele Aquarien. Natürlich gehe ich mit. Und freue mich, wie sie – wie früher – von einem Tier zum nächsten hüpft. Und doch ist es jetzt anders: Habe früher ich ihr Geschichten von Hasen und Fischen erzählt, belehrt heute sie mich über die verschiedenen Lebensräume. 

Ich ziehe sie an mich und denke, wie gross sie doch geworden ist – grösser als ihre Mama. Im nächsten Sommer wird sie dreizehn. Sie trägt Schuhgrösse 40. Ihr Rekord im Weitsprung, ihrer Paradedisziplin, liegt bei 4 Metern 95. Sie erklärt mir, was eine Baggy-Jeans ist. Und hält mir einen Vortrag über China, weil das zurzeit ihr Lieblingsland ist. Aus der kleinen Grossen ist definitiv eine Grosse geworden.


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Beitrag vom 06.10.2025
Usch Vollenwyder

Zeitlupe-Redaktorin
© Jessica Prinz

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