Im Postauto durch Berg und Tal
Sie überwinden die höchsten Alpenpässe, durchqueren abgelegene Täler und führen auch mal über ausländisches Staatsgebiet: Wer mit dem Postauto unterwegs ist, braucht kein Ziel, denn die Fahrt selbst ist das Erlebnis. Vier besondere Routen.
Texte: Franz Ermel
Ab in den Süden
Von St. Moritz nach Lugano führt eine der aussergewöhnlichsten Postautostrecken der Schweiz – oder genauer: der Schweiz und Italiens. Denn die 125 Kilometer lange Fahrt vom Oberengadin
ins Tessin führt mehrheitlich über italienisches Staatsgebiet. Von St. Moritz geht es zunächst dem Silvaplaner- und Silsersee entlang nach Maloja, von da hinunter ins Bergell bis Castasegna, wo die Grenze zu Italien passiert wird. Über Chiavenna im italienischen Teil des Bergells und das mediterrane Menaggio am Comersee (Bild) – wo man sich jeweils kurz die Füsse vertreten kann – geht die Fahrt schliesslich zurück in die Schweiz, über Gandria nach Lugano. Hat man also am Morgen im Engadin, am Rand des ewigen Schnees, gefrühstückt, so kann man vier Stunden später in Lugano unter Palmen zu
Mittag essen. Übrigens: GA und Halbtaxabo sind auf der Strecke gültig.
St. Moritz – Menaggio – Lugano; Postautolinie 90.631 (Palm Express); Dauer: ca. 3.45 Std.

Abenteuer Derborence
Die Postautostrecke von Sion auf die abgelegene Hochebene von Derborence im Wallis zählt zu den spektakulärsten ihrer Art: Sie führt über enge Serpentinen, entlang senkrechter Abgründe und durch etliche in den Fels gehauene Tunnels. In einige wurden Fenster eingehauen, damit das Vieh auf dem Weg zur Alp nicht im Dunkeln gehen muss. Auch heute noch teilen sich Kühe, Autos, Wandersleute und das Postauto die enge Bergstrasse. Nur eine Handvoll Fahrer traut sich die anspruchsvolle Strecke, die erst in den 1950er-Jahren fertiggestellt wurde, überhaupt zu. Gegenverkehr, Steinschlaggefahr und unberechenbare Wetterverhältnisse machen die Fahrt zu einem Abenteuer, das für einigen Nervenkitzel sorgen kann. In Derborence angekommen, wird man dafür mit einer mystischen Landschaft belohnt: dem 1749 nach einem Bergsturz entstandenen See, umgeben von einem der letzten Bergurwälder der Schweiz.
Sion – Aven – Derborence; Postautolinien 12.331 (Sion – Aven) und 12.332 (Aven – Derborence);
Dauer: ca. 1.10 Std.

Durchs wilde Kiental
Die Postautostrecke von Reichenbach im Kandertal auf die Griesalp im hintersten Kiental (Berner Oberland) ist nur gerade 13 Kilometer lang und gilt mit bis zu 28 Prozent Steigung als die steilste Europas. Auf den letzten zwei Kilometern überwinden die gelben Kleinbusse 20 Spitzkehren. An
der engsten Stelle bleiben dem Fahrzeug nur wenige Zentimeter zur Felswand. Belohnt wird die Fahrt mit spektakulärer Natur – mit Schluchten, Auen, Wasserfällen und phänomenalen Blicken auf die Blüemlisalp. Mit etwas Glück kann man neben Murmeltieren auch Gämsen und Steinadler beobachten.
Auf 1400 Metern angekommen, erwarten die Fahrgäste auf der Griesalp zahlreiche Wanderwege und mehrere Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten.
Reichenbach im Kandertal – Kiental – Griesalp; Postautolinie 31.220; Dauer: ca. 45 Min.

Test fürs Sitzleder
Im Hochsommer und bis in den Herbst hinein lassen sich mit dem Postauto mehrere Pässe in den Zentralalpen bequem «erfahren». Die Königstour ist dabei die Vier-Pässe-Fahrt, die in Meiringen BE startet. Sie führt über die Grimsel nach Oberwald VS, von da über den Nufenen und hinunter durchs
Bedrettotal nach Airolo TI, weiter über den Gotthard und die Schöllenenschlucht nach Wassen UR und schliesslich über den Susten und vorbei an der Aareschlucht zurück nach Meiringen. Die Fahrt dauert fast neun Stunden – es braucht also einiges an Sitzleder. Fun Fact: Unterwegs erklingt 41 Mal das typische Postautohorn. Auf jedem der vier Pässe gibt es einen viertelstündigen Halt, in Airolo
zusätzlich anderthalb Stunden für ein Mittagessen in Bahnhofsnähe. Wer es kürzer mag: Von Meiringen, Andermatt und Airolo werden auch Drei-Pässe-Fahrten angeboten, die über Furka – Grimsel – Susten resp. Gotthard – Nufenen – Furka führen.
Meiringen – Grimsel – Nufenen – Gotthard – Susten – Meiringen; Postautolinie 12.682; Dauer: 8.45 Std.
