Raus aus dem Alltag, um Neues auszuprobieren. Diesmal: Zeitlupe-Redaktorin Claudia Senn lernt, was Sterbende brauchen.
Text: Claudia Senn
Einen Erste-Hilfe-Kurs haben wir alle absolviert. Doch wer – abgesehen von medizinischem Fachpersonal – weiss heute noch, wie man Sterbenden das Leben erleichtert? Mein Wissen darüber ist marginal. Deshalb habe ich die Einladung zum Letzte-Hilfe-Kurs angenommen, die mir das Altersheim meines Mannes geschickt hat. Vermutlich wird er es sein, der vor mir geht, und nicht umgekehrt. Meine Strategie, damit fertig zu werden, ist es, mir Wissen anzueignen, das mich in den schweren Stunden beschützen soll wie ein Talisman.
«Erste Hilfe ist eine stressige Sache», sagt Madeleine, eine der beiden Pflegefachfrauen, die den Kurs leiten. Es zählt jede Minute. Bei der letzten Hilfe jedoch gehe es darum, ruhig und bedacht vorzugehen, letzte Wünsche zu erfüllen, die Lebensqualität bis zum Schluss aufrechtzuerhalten. Wie Susanne, ihre Co-Kursleiterin, ist sie spezialisiert auf Palliative Care und hat schon viele Menschen während ihrer letzten Tage und Stunden begleitet.
Wer bald stirbt, zieht sich zurück und besinnt sich auf sich selbst, so lerne ich von den beiden. Grosse Müdigkeit überkommt die Sterbenden. Mit ihrem Umfeld mögen sie sich kaum noch beschäftigen. Schliesslich hören sie auf zu essen und zu trinken – was für Angehörige manchmal schwer zu akzeptieren sei. «Man stirbt aber nicht, weil man aufhört zu essen, sondern man hört auf zu essen, weil man stirbt», sagt Susanne. Auch eine Infusion mit Flüssigkeit mache keinen Sinn. «Bekommt der Körper nämlich keine Flüssigkeit mehr, schüttet er körpereigene Opiate aus, die den Sterbeprozess erleichtern.» Gut, dass ich das jetzt weiss. Dann werde ich es dereinst besser einordnen können, wenn mein Liebster nichts mehr zu sich nehmen mag.
Als Angehörige kann ich viel Gutes tun, indem ich «einfach da bin und die Situation aushalte», Geborgenheit schaffe mit sanften Berührungen oder vertrauter Musik, die trockene Mundschleimhaut mit einem Schwämmchen befeuchte, das ich in das Lieblingsgetränk des Sterbenden getaucht habe. «Das darf auch Kaffee, Bier oder Prosecco sein», sagt Madeleine. Bei meinem Mann werde ich den guten Amarone verwenden, den er so liebt.
Wie wird es wohl sein, wenn er tatsächlich stirbt? Dieser Frage kann ich hier nicht ausweichen. Mehr als einmal stehen mir die Tränen zuvorderst. Doch ist es nicht besser, das Schicksal mit offenen Armen zu empfangen, als panisch vor ihm davonzulaufen?
Letzte-Hilfe-Kurse gibt es überall in der Schweiz – für Erwachsene, aber auch für Kinder und Jugendliche. Das Projekt wird von der Reformierten Landeskirche des Kantons Zürich geleitet. Genauere Informationen und den für Sie passenden Kurs finden Sie auf letztehilfe.ch
Weitere Beispiele aus unserer Rubrik «Mein erstes Mal» lesen Sie hier.
Das Thema interessiert Sie?
Werden Sie Abonnent/in der Zeitlupe.
Neben den Print-Ausgaben der Zeitlupe erhalten Sie Zugang zu sämtlichen Online-Inhalten von zeitlupe.ch, können sich alle Magazin-Artikel mit Hördateien vorlesen lassen und erhalten Zugang zur Online-Community «Treffpunkt».
Um diese Website optimal bereitzustellen, verwenden wir Cookies.
Mit der Nutzung dieser Website stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Erfahren Sie mehr in der
Datenschutzerklärung.