Ina Balke war ein Supermodel der 50er- und 60er-Jahre. Die heute 86-Jährige stand mit Hollywood-Grössen wie Alfred Hitchcock vor der Kamera. Ihr Appetit auf Glamour, Schönheit und einen kleinen Flirt ist bis heute ungebrochen.
Text: Claudia Senn
Älterwerden wird nicht leichter, wenn man einmal Model war. «Beim Blick in den Spiegel denke ich morgens oft: O Gott, das kann ja nicht wahr sein!», sagt Ina Balke. Dann tut sie sich «zehn Kilo Make-up drauf», und der Tag wird trotzdem ein guter Tag. Für den Fall ihres Ablebens schminkt sich die 86-Jährige sogar nachts. «Als Leiche siehst du mit Augenbrauen einfach angenehmer aus», findet sie. Balke – Whatsapp-Status: «Schön» – will gefallen. Sich selbst und allen anderen, bis über den Tod hinaus. Darauf einen kleinen Sherry. Chin-chin!
In den Fünfziger- und Sechzigerjahren war Balke das, was man heute ein Supermodel nennt. Mit 19 wurde die junge Frau in München von den Mitarbeitern einer Stuttgarter Strickwarenfirma entdeckt. Wenige Jahre später nahm Eileen Ford sie in ihrer berühmten New Yorker Modelagentur unter Vertrag. Balke arbeitete für Modemagazine wie «Elle», «Vogue» oder die Schweizer «annabelle». Ihren Lebensabend verbringt sie in Uster.
Besonders Furore machte 1962 ein Shooting für «Harper’s Bazaar», auf dem sie mit Alfred Hitchcock vor dem Gruselhaus aus dessen legendärem Film «Psycho» posiert. Balke gab die Schöne, Hitchcock das Biest. Natürlich wollte der grosse Regisseur die deutsche Blondine umgehend unter seine Fittiche nehmen. Zu gut passte sie mit ihrer unterkühlten Aura in sein Beuteschema. Doch Balke, die schon immer ganz genau wusste, was sie nicht wollte, liess ihn eiskalt abblitzen. Nicht einmal der goldene Rolls-Royce samt Chauffeur und Sekretär, den Hitchcock zu Beeindruckungs-Zwecken schickte, konnte sie umstimmen. «Zum Film? Ich??», ruft sie während des Interviews in ihrem Stammlokal so entrüstet aus, als habe ihr die Reporterin soeben ein unmoralisches Angebot unterbreitet. «Immer nur warten, bis endlich mal die Sonne richtig steht? Nein, viel zu langweilig.» Darauf ein Zweierli Weisswein. «Von dem Guten, bitte», ordert sie beim Kellner. Prost!
Ina Balke zuzuhören, heisst, eine Ära auferstehen zu lassen, die es so längst nicht mehr gibt. Heute leben die meisten Models in schäbigen WGs am Stadtrand, wo die Mieten zum eigenen prekären Budget passen. Balke residierte mit ihrem Lover, dem französischen Modefotografen Jeanloup Sieff, an vornehmer Lage in Paris, fläzte, wenn sie nicht gerade arbeitete, den ganzen Tag auf samtbezogenen Ottomanen, schlürfte auserlesene Alkoholika und schmuste mit ihren vier Katzen. Wenn das glamouröse Paar nach New York reiste, wurden auf dem Luxusliner «France» zwei Suiten samt Patio angemietet, damit es die Tiere nett hatten. Die Büsis flogen nun mal nicht gern. Sogar die deutsche «Bild»-Zeitung ereiferte sich über soviel Dekadenz – was Ina Balke natürlich vollkommen egal war. Ach, die goldenen Sechzigerjahre, als sich das Leben noch anfühlte wie eine einzige lange Champagner-Orgie!
So, nun ist es aber Zeit für einen kleinen Flirt mit dem Kellner. Ina Balke bezirzt alle. Ohne Unterlass. Den Taxifahrer, die Reporterin, zur Not auch den 103-Jährigen, den sie neulich traf: «Na, auch am Stock?» Flirten gehe immer, sagt sie, «man muss mit dem Kerl ja nicht ins Bett steigen, wenn man das nicht mehr kann». Es ist, als ob ständig ein Übermass an Lebenslust aus ihr herausquellen würde. Das war schon in den schlimmen Kriegsjahren so, als es nur Gänseblümchen und Sauerampfer zu essen gab und sich die kleine Ina vor den Alliierten in einem modrigen Erdloch verstecken musste. Das Leben ist da, um gefeiert zu werden!
Vor einigen Monaten ist ihr Lebensgefährte gestorben. «Die letzte Tankstelle vor der Autobahn» seien sie einander gewesen. Die letzte grosse Liebe – von vielen. Balke hatte keinen Ehemann («Gott bewahre!»), aber zahllose Amouren, und alle hatten sie eine bildschöne, charaktervolle Friedrich-Schiller-Nase. Wie eine Trophäensammlung zeigt sie Fotos ihrer Männer auf dem Handy vor. Doch nun liegt ihr Günther im Sarg. «Und irgendwann bricht der Sarg ein, und die Erde fällt auf das schöne Gesicht. Das tut mir so weh, das können Sie sich nicht vorstellen.» Darauf zum Trost einen Grappa, «aber der gute aus der blauen Flasche,bitte!». Auf Günther, wo immer du jetzt bist!
Das Thema interessiert Sie?
Werden Sie Abonnent/in der Zeitlupe.
Neben den Print-Ausgaben der Zeitlupe erhalten Sie Zugang zu sämtlichen Online-Inhalten von zeitlupe.ch, können sich alle Magazin-Artikel mit Hördateien vorlesen lassen und erhalten Zugang zur Online-Community «Treffpunkt».
Um diese Website optimal bereitzustellen, verwenden wir Cookies.
Mit der Nutzung dieser Website stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Erfahren Sie mehr in der
Datenschutzerklärung.