Die Blüten des Kiribaums duften nach Vanille.© shutterstock

Dringend gesucht: Superman der Botanik

Manchmal wünschte sich unser Gartenpöstler, die Welt wäre ein Comic. Dann würden Wonder Woman oder Superman ihn und die Welt, in der er lebt, pfeilbogenschnell aus Notlagen retten. Herbeisausen, kurz die Muskeln spielen lassen, die Gefahren bodigen, fertig. Ende gut, alles gut.

Der Wunsch eines Phantasten? Von wegen! Botaniker sind derzeit tatsächlich daran, unter den rund 330’000 existierenden Pflanzenarten solche Superhelden zu finden. Der Bedarf dafür ist gross: Der Klimawandel ist in vollem Gange und setzt unserer hiesigen Flora gehörig zu. Viele Bäume, Stauden und Büsche leiden unter der zunehmenden Trockenheit und den steigenden Temperaturen, und Arten, die diese Widrigkeiten mit ihren Superkräften meistern, sind höchst gefragt: sei es im Waldbau, in der Landwirtschaft oder im Hausgarten. 

Auch in der Schweiz läuft die Suche nach klimafitten Pflanzen auf Hochtouren. Insbesondere an trockenheits- und hitzeverträglichen Bäumen sind die Forschenden interessiert. Kantonale Forstdienste und -betriebe, Baumschulen und Forschende der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, haben dazu unlängst das Projekt «Testpflanzungen zukunftsfähiger Baumarten» initiiert. Sie untersuchen an 57 verschiedenen Pflanzungen mit über 55’000 Bäumchen wie Eiche, Buche & Co. mit den wandelnden Verhältnissen zurechtkommen. 

Ein Baum zeigt besondere Wunderkräfte: der Kiribaum, auch Paulownia, Blauglocken- oder Kaiserbaum genannt. Der Immigrant aus Asien wächst jährlich über fünf Meter und produziert damit in einem Zehntel der Zeit so viel Holz wie beispielsweise Eichen. Durch das rasante Wachstum vermag der Kiribaum ausserdem, die drei- bis vierfache Menge des berüchtigten Klima-Schadstoffes CO₂ zu speichern als es vergleichsweise heimische Baumarten können. Und da der Exot seine Wurzeln ausgesprochen tief ins Erdreich treibt, übersteht er selbst längere Dürreperioden schadlos. Die Holzindustrie jedenfalls setzt grosse Hoffnungen auf ihn und rühmt dessen leichtes und hochwertiges Holz. Dieses wird beispielsweise für die Produktion von Möbeln, Instrumenten und Surfboards genutzt.

Kiribaum vor blauem Himmel
© shutterstock

Der Kiri-Baum – der Klima-Retter

  • wächst bis 15 Meter hoch – etwa wie ein Feldahorn.
  • treibt sein weitverzweigtes Wurzelwerk tief ins Erdreich. So kommt der Baum zu ausreichend Wasser – auch in langen Trockenperioden.
  • trägt im April/Mai violette Blüten. Diese sind glockenförmig und duften nach Vanille
  • kam erstmals 1834 nach Europa.
  • lässt Holz wachsen, das als «Aluminium der Holzindustrie» gilt. Denn es ist erstaunlich leicht und trotzdem stabil.
  • wurde in China von Eltern nach der Geburt einer Tochter gepflanzt. Heiratete das Mädchen später, wurde der Baum gefällt und aus dem Holz die Mitgift getischlert und geschreinert, etwa ein Schrank oder ein Tisch.
  • und zu guter Letzt: Ein Hektar mit Kiri-Bäumen bindet 3- bis 5-mal so viel CO2 wie ein Misch- und Nutzwald. Und stemmt sich damit etwas dem Klimawandel entgegen.

Ein botanischer Herkules! Der Kiribaum kann mit seinen Stärken durchaus mit Spider-Man, oder Black Widow mithalten – er soll künftig in Europa stärker zum Einsatz kommen, auch wenn Naturfreunde mahnend den Finger heben, weil dessen Einsatz in ihren Augen die Biodiversität gefährdet. Die Notlage ist jedoch zu stark für solche Bedenken. Gemeinhin ist man sich sicher: Neue Bäume braucht das Land. 

Insbesondere in den Städten sind widerstandsfähige Arten gefragt. Dreiviertel der Schweizer Bevölkerung leben in urbanen Räumen, weltweit sind es 4,2 Milliarden Menschen. Diese werden unter dem veränderten Klima stärker leiden als Landbewohnerinnen und -bewohner. Denn Städte heizen sich in Zukunft deutlich stärker auf als das Umland. Klimakenner haben errechnet, dass Bern bald schon ähnliche Temperaturen aufweist wie derzeit Mailand. Begrünte Strassen und Plätze können diese Misere jedoch lindern. Gemäss einer Studie der ETH Zürich ist es in Parkanlagen acht bis zwölf Grad kühler ist als auf bebauten Flächen. 

Deshalb spielen Bäume und Sträucher in urbanen Räumen eine zusehends wichtigere Rolle. Aber: Stadtbäume leben unter erschwerten Lebensbedingungen, nun kommen klimabedingte Stressfaktoren dazu. Die urbanen Schattenspender ächzen darunter folglich extra stark. Oder sind dadurch gar gefährdet. Wollen Zürcher, Berner und Basler also auf längere Sicht einen kühlen Kopf bewahren, müssen sie dringlich Baumriesen finden, die solchen Herausforderungen trotzen. Dazu zählt beispielsweise der Strauch «Sieben Söhne des Himmels». Auch dieser ist ein Asiat, auch er ist ein Hitzeliebhaber.

hitzeresistente Pflanze "Sieben Söhne des Himmels"
Der Strauch «Sieben Söhne des Himmels» ist robust und liebt warme Standorte. © shutterstock

Die Stadt Zürich hat die Zeichen der Zeit bereits erkannt: Bis 2035 soll die Stadt 130 Millionen Franken aufwenden, um seine Strassenzüge grüner zu machen. Auch Schaffhausen will 100 neue Stadtbäume pflanzen. Und die Postgasse in der Berner Altstadt wurde unlängst mit unzähligen Bäumen und Sträuchern ausstaffiert, Anwohnerinnen und Anwohner pflanzten sie in Töpfe und schauen zu den Gewächsen. Der Abschnitt zwischen Nydeggstalden und dem Rathaus soll gemäss den Initianten dieser Aktion zur «grünsten Gasse der Schweiz werden». Das Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern untersucht in der Folge, wie sich diese Begrünung auf die Temperaturen, die Biodiversität und den Wasserhaushalt auswirkt.

Sie sehen: Wunderkräfte, wie ich sie aus Comics und aus Sagen kenne, sind im Diesseits höchstwillkommen. Die Hoffnung ruht auf herkulesstarken Gewächsen, auf Bäumen und Sträuchern, die es uns nicht übelnehmen, wenn wir ihnen einheizen. Was ich aus Comics aber auch weiss: Manche Katastrophen lassen sich auch ohne die Hilfe von Superhelden meistern. Dazu müssen wir aber unerschrocken sein, uns kluge Strategien ausdenken und die Welt erst gar nicht ins Elend führen. Also nehmen wir unser Glück besser selbst in die Hand. Am besten gleich. Sofort.

Der Gartenpöstler

Roland Grüter, Gartenkolumnist der Zeitlupe

© Jessica Prinz

Roland Grüter (62) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Heute lebt er in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.

  • Gefällt Ihnen die Idee, unsere Städte mit klimafitten Bäumen und Sträuchern zu begrünen und so etwas gegen den steigenden Temperaturen zu unternehmen? Wir freuen uns darauf, Ihre Meinung zu hören.
  • Hier finden Sie weitere Gartenpost-Kolumnen.
Beitrag vom 18.05.2023

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