© Gerard Visser

Teil 1: Diagnose «Brustkrebs» Tagebuch einer Sterbenden

An einem warmen Sommertag Anfang Juni 2020 entdecke ich eine Schwellung in meiner linken Achselhöhle. Kein Schmerz, eine weiche Masse, die unter dem Druck nachgibt. Auch keine Verfärbung. Hat vielleicht der Bügel vom Büstenhalter die Haut gekniffen? Ich bereite mich auf einen Kurs vor, den ich heute gebe. Bald ist die Schwellung vergessen. Auch in den nächsten Tagen schenke ich ihr keine Beachtung. Erst Tage später erinnere ich mich daran und frage mich, wann die Schwellung endlich zurückgeht. In meinem Unterbewusstsein tauchen erstmals Gedanken auf, dass es auch etwas Ernstes sein könnte. Einen Knoten erwarte ich in der Brust, nicht in der Achselhöhle. Mit der Zeit reift der Entschluss, das Malheur einer Frauenärztin zu zeigen.

Das Problem dabei: Ich habe keine Frauenärztin des Vertrauens mehr, und die Ärztinnen und -ärzte, die ich anrufe, nehmen keine neuen Patientinnen auf. Auch, wenn ich erkläre, dass ich etwas unter meiner Achsel spüre. Bei der dritten Expertin erhalte ich dann doch einen Termin. 

Fünf Wochen warten. Ich bin keine, die ein Drama aus solchen Sachen macht. Der Knoten schmerzt nicht und blutet nicht. Somit bin ich der Meinung, genügend Zeit zu haben, bis ich die Schwellung regulär zeigen kann. 

Endlich. Die Frauenärztin führt mich ins Untersuchungszimmer. Beim Tasten spürt sie nichts. Beim Ultraschall runzelt sie dann aber die Stirn. Schnell wird klar, dass da etwas «Grosses» und «klar Umgrenztes» in meiner Achselhöhle steckt. Sie meldet mich für den gleichen Tag zur Mammografie an. Mit der Mammografie erhält die Ärztin ein Bild davon, wo genau und wie gross allfällige Veränderungen des Gewebes in der Brust sind. Geschafft. Die Frauenärztin teilt mir freundlich, klar und ruhig mit, dass sich ihre Befürchtungen bestätigt haben. Sie beschreibt die Details der Ergebnisse, bis ich sie unterbreche: «Heisst das, ich habe Krebs?» Ihre Bestätigung überrascht mich nicht wirklich. Je mehr Zeit vor dem Termin verstrich, desto klarer war für mich, dass es sich um einen Tumor handelt.

Im ersten Moment reagiere ich gefasst. Als mein Partner, der mich zu wichtigen Arztterminen stets begleitet, mit mir nach Hause geht, muss ich plötzlich bitterlich weinen. «Krebs gleich Tod! Krebs gleich Tod!», hämmert es in meinem Kopf. Ich kontaktiere meine Familie und die nächsten Freundinnen und Freunde. Sie sind schockiert und wissen nicht, was sie zur Hiobsbotschaft sagen sollen. Am besten einfach zuhören. Ich erinnere mich, dass Brustkrebs heute gut heilbar ist. Ich will mir keine Sorgen machen und beruhige mich bald.

Je mehr Zeit vor dem Termin verstrich, desto klarer war für mich, dass es sich um einen Tumor handelt.

In den nächsten Tagen packt mich das schlechte Gewissen. Ich hatte seit Jahren meine Brüste nicht mehr abgetastet. Auch wenn ich mir das Vorgehen mehrmals zeigen liess, ich traute mir schlichtweg nicht zu, etwelche Veränderungen zu spüren. Also liess ich es bleiben. Ausserdem war ich schon viele Jahre nicht mehr zur Kontrolle bei der Frauenärztin. Ich war oft umgezogen, und Arztbesuche waren nicht prioritär. Die Frage brennt nun dringlich: Hätte ich den Krebs vermeiden können, wenn ich mir diesbezüglich besser geschaut hätte?

Weitere Untersuchungen folgen, die das Erwartete bestätigen und den Krebs in meiner Brust genauer diagnostizieren lassen. Nach der Mammografie entnimmt mir die Frauenärztin eine Gewebeprobe für die Analyse. Mit der Computertomografie kann man sehen, wo genau der Krebs in meiner Brust liegt und ob es noch weitere Gewebeveränderungen gibt. Ausserdem wird mein Gehirn gescannt. Dort ist nichts zu finden. Gott sei Dank!

Das Resultat: Ich habe einen «Triple-negativ Brustkrebs». Dieser gilt als besonders aggressiv. Er hat ein hohes Metastasierungs- und Rezidivrisiko sowie eine schlechte Überlebensprognose. Unter dem Rezidivrisiko versteht man die Wahrscheinlichkeit, ob eine Krankheit nach erfolgreicher Behandlung wiederkehrt (Rezidiv). Die schlechte Prognose ist mir zum Glück nicht bewusst. Keine Ahnung, ob ich sie im Gespräch überhört hatte, oder ob sie nicht zur Sprache kam. Ist auch egal, denn so kann ich Schritt für Schritt das tun, was die Ärzte mir vorschlagen.

Sie empfehlen ein Vorgehen nach internationalen Leitlinien, so wie Brustkrebs halt behandelt werden. Der Plan sieht eine vorausgehende Chemotherapie, eine Operation und zum Schluss noch eine Bestrahlung vor. In der Hirslanden-Klinik Aarau beginnt meine Therapie. 


Aktuell tourt die Basler Psychologin durch die Schweiz und liest in diversen Städten aus ihrer Autobiografie. Eine Übersicht ihrer Auftritte finden Sie unter psyche-staerken.ch/autobiografie

Mehr über Ihr Buch «Volle Pulle leben – Lebe Deins, jetzt», in dem Michèle Bowley über Ihr Leben und Sterben schreibt, finden Sie hier.

Beitrag vom 13.03.2023

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