Willkommen auf der Queen Mary 2!
Zeitlupe-Reise 2024: Auf einem der berühmtesten Passagierschiffe reisen Sie nonstop über den Atlantik – von Southampton nach New York. An sechs von sieben Juni-Tagen nur Meer, Sonne, Mond, Wolken, Sterne. Geradezu grossstädtisch ist dafür das Angebot an Unterhaltung, Kursen, Vorträgen und Konzerten.
Text: Gallus Keel
Do you speak English? Ja, Bordsprache ist Englisch. Weil jedoch schon ab Zürich eine deutschsprachige Reisebegleitung dabei ist und auf der Queen Mary 2 zudem zwei deutsche Hostessen täglich ihre Sprechstunde anbieten (siehe Porträt «Die gute Fee»), fühlt sich auch nicht verloren, wer in Englisch kein Hirsch ist. Man erhält rasch Rat und Unterstützung. Auch das täglich neu gedruckte Bordprogramm wird in reduzierter Form auf Deutsch herausgegeben. Wichtige Durchsagen ertönen ebenfalls in vertrauter Sprache. Die meisten Speisekarten sind übersetzt.
Als die Queen Mary 2 im Jahr 2004 im französischen Saint-Nazaire vom Stapel lief und später in Southampton von Königin Elizabeth II. getauft wurde, da war sie das grösste, längste, breiteste und luxuriöseste Kreuzfahrtschiff, das je gebaut wurde. Diese Rekorde hat die QM2 inzwischen abgetreten, dafür ist sie in diesen zwei Jahrzehnten zu einer Legende gereift, zur vornehmen Lady, zum Schiff der Eleganz. Den britischen Charme spüren Sie erst so richtig nach zwei, drei Tagen, wenn Sie die 13 Decks und die vier Treppenhäuser mit den unzähligen (Schindler-)Aufzügen erobert haben.
Ohne Halt über den Atlantik
Sie erleben an Bord rasch eine wohltuende Entschleunigung. Im Gegensatz zu manch anderem Kreuzfahrtschiff hat sich die renommierte Cunard Line mit der Queen Mary 2 einen Luxusliner mit grosszügigen Platzverhältnissen geleistet. Auf «nur» 2691 Passagiere kommen 1253 Mitarbeitende. Das Personal ist auffallend freundlich. Mit einem Schmunzeln stellt man im Hauptrestaurant, im Britannia, fest, dass die Kellner – bei welchem Menü auch immer – sofort mit der riesigen Pfeffermühle zur Stelle sind und Sie höflich fragen, ob sie sie betätigen dürfen. «Yes, please!»
Weil es eine Woche lang ohne Halt über den Atlantik geht, kommt nie jene Unruhe auf, die bei Kreuzfahrten jeweils ausbricht, wenn der nächste Hafen angelaufen wird und alle hinaus- und wieder hereindrängen. Fast schon fühlt man sich als verschworene Gemeinschaft im selben (grossen) Boot. Man hat viel Zeit, Zeit, sich zu verlieren und zu finden. An mehreren ruhigen Plätzchen sieht man tatsächlich tief in ein 1000er-Puzzle versenkte Gesichter. Was auch auffällt: Die älteren Menschen sind in der Überzahl. Rollstühle und Rollatoren sind eine Selbstverständlichkeit. Viele Passagiere, es ist zu spüren, machen gerade die Reise ihres Lebens.
Eine 76-Jährige aus Bayern, «allein reisende Witwe», wie sie stolz betont, kommt ins Schwärmen: «Ich habe lange von einer Atlantiküberquerung geträumt, schon als mein Mann noch lebte, und ich bin froh, dass ich sie nun mache. Sie war gerade vorhin im gedeckten Pool schwimmen. Im Aussenpool sei es ihr zu windig gewesen. Am Morgen war sie beim «Fun Fitness mit Hannah» im Queen’s Room und um 15 Uhr will sie im Golden Lion Pub beim «Snowball Jackpot Bingo» mitmachen. In den nächsten Tagen will sie sicher einmal eine Vorführung im Planetarium besuchen. Kino? Beauty-Beratung? «Eher nicht.»
Es sei aber auch schön, findet sie, nur auf ihrem Balkon zu sitzen und hinauszuschauen in den endlosen Atlantik. Sehr meditativ sei das. «Einfach diese gigantischen Wassermassen auf sich wirken lassen. Man wird wieder daran erinnert, was man einst in der Schule gelernt hat: Unser Planet ist zu 71 Prozent von Wasser bedeckt.» Bei der Delfingruppe ist sie sich ganz sicher, aber ob sie auch den Rücken eines Wals gesehen hat – «vielleicht war es nur eine Täuschung».
Die gesprächige Dame war am Vortag an einem Treffen für Alleinreisende, wie es auf der Queen Mary 2 regelmässig angeboten wird. «Nein, nein, nicht für Singles», lacht sie, «einfach nur, um sich etwas kennenzulernen. Mit einer Schweizerin und einer Berlinerin bin ich dann essen gegangen. Interessante Begegnungen!» Auch die Buchhandlung kennt sie schon und die Bibliothek, die grösste auf hoher See, «dort ist es immer ruhig». Deutschsprachige Bücher gibt es zwar nur etwa 300, beachtlich immerhin: Der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter ist gleich zweimal vertreten.
Verköstigung und Vergnügen
Restaurants, Bars, Cafés, Pubs gibt es über ein Dutzend. Für die Mahlzeiten wählt man das Lokal weitgehend frei, spontan oder per Reservation am Handy. In vier Lokalen kann nur gegen Aufpreis getafelt werden (mit der persönlichen Bordkarte, die mit der Kreditkarte gekoppelt ist). Wie wäre es, sich einmal schon beim Frühstück bedienen zu lassen? Im Britannia auf Deck 2 ist das möglich. Auf Deck 7 hingegen, im King’s Court, gilt für alle drei Mahlzeiten Selbstbedienung. Die Auswahl ist schlicht umwerfend.
Hier oben auf Deck 7 trifft man beim Frühstück auf die Gesundheitsbewussten, die vor der Fensterfront täglich ihre Runden à 550 Meter joggen. Wenn Ihnen dieser Anblick am Morgen missfällt – von wegen schlechtem Gewissen – dann bestellen Sie das Frühstück gegen einen Zuschlag doch einfach in Ihre Kabine! Gegen Aufpreis ist allerlei zu haben. Zum Beispiel auch ein Fotograf, der Sie durch das Schiff begleitet und Sie an den schönsten Stellen im besten Licht fotografiert. Gratis dagegen ist die «Folterkammer», das Fitness-Studio, falls es Sie doch noch juckt. Nach einer halben Stunde Keuchen und Schwitzen haben Sie es dann verdient, sich in der Shoppingmeile zu belohnen oder im Spielsalon zu vergnügen.
Was steht am Abend an? Im Royal Court Theatre treten um 20 Uhr und nochmals um 22.15 Uhr zwei Tenöre auf, zusammen mit der bordeigenen Theatre Company. Das wäre dann ein Grund, sich schön, noch schöner zu machen. Im deutschen Tagesprogramm heisst es dann: «Heute: Smart Attire (Elegante Kleidung). Ab 18 Uhr bitten wir Sie, Hose und Hemd mit Kragen, Oberteil und Rock oder elegante Hosen oder ein Kleid zu tragen.» Ergänzend werden gleich noch die Lokale aufgelistet, für die Sie sich «lockerer» kleiden dürfen und für die der Dresscode nicht gilt. In Schale dagegen werfen Sie sich, wenn Sie zu einer Themen-Gala gehen, zum Beispiel zur «Masquerade Gala Night». Keine Maske dabei? Können Sie mieten, sogar den Smoking.
Wenn Sie in Ihrer Kabine am Fernseher Kanal 45 (Current Position) wählen, wird auf einer Karte angezeigt, wo sich die QM2 gerade befindet. Machen Sie mit dem Handy doch ein Foto und schicken Sie es Ihren Enkelkindern. «Grosi und Grospapi sind jetzt hier – fast schon in Amerika!» Langsam, aber stetig hat sich der Punkt in den letzten Tagen übers Meer nach Westen verschoben. Er rückt immer näher an das Wort Titanic heran. Hier also war es, wo am 15. April 1912 die Titanic auf ihrer Jungfernfahrt einen Eisberg rammte und sank. Vor dem inneren Auge erscheint uns sofort der noch junge Leonardo DiCaprio, wie er im Kinohit von 1997 herzergreifend den langsamen Ertrinkungstod spielt. Kate Winslet muss erschüttert zusehen, wie seine Leiche in die Untiefen abgleitet. 1514 Menschen starben damals.
Sobald die Stimme von Captain Aseem Hashmi ertönt – er ist Brite mit indischen Wurzeln –, sind alle ganz Ohr. Er meldet sich nur, wenn Wichtiges ansteht. In etwa einer Stunde erreiche man die zweistöckige Verrazzano-Bridge und bald danach sei auch die Statue of Liberty zu sehen. Sie, die Freiheitsstatue, ist heute das Motiv für ein nettes Souvenirbild, den Millionen von Einwanderern hingegen, die New York damals oft unter miesesten Reisebedingungen erreichten, war sie das Zeichen der grossen Hoffnung.
Es wird gerne vergessen, dass die Schweiz lange ein Auswanderungsland war. Es gab Gemeinden, die ihren Ärmsten, wenn sie bereit waren auszuwandern, Geld für die Reise gaben, verbunden mit der dringenden Aufforderung: «Aber kommt ja nicht zurück!» Allein in den 1880er-Jahren wechselten 82’000 Schweizer hoffnungsfroh in die Neue Welt hinüber.
New York in Sicht
Und endlich sind sie dann da, ganz wirklich: die Freiheitsstatue und die als Bild und im Film oft gesehene Skyline von New York. Sie live zu erleben ist halt ganz etwas anderes, etwas Unvergessliches. Es kribbelt unter der Haut. Das Hafengelände ist immens gross. Alles ist hier grösser.
Die Atlantikpassage stand ganz unter dem Motto «Der Weg ist das Ziel». Also geht es jetzt direkt zum Kennedy-Airport und zurück nach Zürich. Wer sich aber sagt, «wenn ich schon mal hier bin…», der darf sich natürlich auch noch New York einverleiben. Viel Spass!
Und eine letzte Frage bleibt noch: Warum eigentlich die «2» hinter Queen Mary? Die erste Queen Mary, fertiggestellt im Jahr 1936, gibt es noch immer. Sie liegt fest vertäut im kalifornischen Long Beach und ist ein Luxus-Hotel.
Die gute Fee
Regine Thanner, vierfache Mutter und geschieden, hat ihren Traumjob gefunden. Schon immer in der Hotellerie tätig, sowohl für Hotelketten als auch für kleine First-Class-Häuser und in allen möglichen Positionen, heuerte sie 2018 bei Cunard Line an. Und wurde für die Queen Mary 2 auserkoren. «Ich war schon immer ein Fan von Kreuzfahrtschiffen und ganz besonders von der Queen Mary 2.» Zusammen mit ihrer jüngeren Kollegin Greta Albrecht ist die 57-Jährige heute als International Hostess im Einsatz und somit allgegenwärtige Betreuerin für Gäste aus dem deutschsprachigen Raum.
Regelmässig laden die zwei Hostessen die Deutschsprechenden zu einer kleinen Einführung ein. Sie organisieren auch «Mittagessen unter deutschsprachigen Gästen» und bieten täglich eine Sprechstunde an. Auf dem very british organisierten Schiff ist man froh, Fragen und Probleme auch mal so vorbringen zu können, wie einem der Schnabel gewachsen ist.
Weil die Queen Mary 2 nicht nur Atlantik-Überquerungen macht, sondern auf allen Weltmeeren unterwegs ist, «bin ich eigentlich permanent auf Weltreise», freut sich die Süddeutsche. «Ja, es ist ein Traumjob!» Ihren drei Töchtern und dem Sohn hat sie früh gesagt, «wenn ihr erwachsen seid, bin ich wieder dran, darf ich mal meine Träume erfüllen.» Nach vier Monaten Arbeit an Bord geht es jeweils wieder für zwei Monate nach Hause ins schwäbische Metzingen, notabene die Heimat des Labels Hugo Boss.
Den allerschönsten Ort auf dem Planeten hat Regine Thanner noch nicht ausgemacht. Aber die Karibik, Petra in Jordanien, Pompeji in Italien, «das sind schon bleibende Erlebnisse. Oder als ich einen Koala streicheln durfte.» Wie lange will sie diesen Job noch machen? «Keine Ahnung!» Aber die Weltenbummlerin lässt durchblicken, dass sie durchaus ins Wanken kommen könnte, «wenn dann mal Enkelkinder da sind!»
Sir Samuel Cunard
Die Geschichte der Cunard Line geht zurück auf den kanadischen Visionär Sir Samuel Cunard, der 1839 mit einer kapitalkräftigen Gruppe von Reedern und Kaufleuten die British & North American Royal Mail Steam Packet Company gründete.
Ein mit Grossbritannien geschlossener Vertrag zur Postbeförderung nach Übersee verpflichtete das Unternehmen zu regelmässigen Fahrten zwischen Liverpool und Boston sowie Halifax und Québec in Kanada. Die britische Krone zahlte dafür jährlich 81’000 Pfund. Rasch wurde der Personentransport indes wichtiger.
Die Schiffe – in den Anfängen noch aus Holz gefertigt – holten sich im Laufe der Zeit immer wieder das Blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung. Am Anfang, mit der Britannia, dauerte die Fahrt westwärts 13 Tage und sechs Stunden und in östlicher Richtung 11 Tage und drei Stunden. Die Cunard Line gehört heute als Premiummarke zum US-amerikanischen Carnival-Konzern und steht mit den Königinnen Mary 2, Elizabeth, Victoria und Anne (ab 2024!) für die britische Lebensart.
Die Reisebeschreibung erinnert mich an unsere sagenhafte Überfahrt mit der Queen Mary nach New York im Jahr 2009. Wir blieben allerdings dann 3 Monate in Amerika und reisten kreuz und quer durchs Land, per Zug, Auto und Harley, bis nach Los Angeles.
Die Überfahrt ist ein unvergessliches Erlebnis! Ich kann es allen empfehlen, die noch etwas Einmaliges erleben wollen.