Das Prinzip des Wardschen Kastens hat bis heute Gültigkeit. Es wurde tausendfach abgeändert. © shutterstock

Kleiner Kasten, grosse Karriere

Die Erfindung des britischen Arztes Nathaniel Bagshaw Ward machte den Welthandel mit Pflanzen erst möglich. Ihm verdanken wir, dass Bananen und Tee weltbekannt sind. Unser Gartenpöstler Roland Grüter will dem klugen Mann nachstreben.

Roland Grüter, Gartenkolumnist der Zeitlupe
© Jessica Prinz

Text: Roland Grüter

Ich bin ein rechtschaffener Langeweiler. Meine Fantasie ist viel zu lasch, als dass sie sich grossartige Dinge einfallen liesse. Wie gerne würde ich mit kühnen Ideen die Welt in eine bessere verwandeln, unser aller Leben vereinfachen. Andere lassen sich Krawattenflaschen, Auspuffgrills, Kugelschreiberlöffel und Lippenspanner einfallen. Sowas käme mir selbst in 1000 Jahren nicht in den Sinn. Stattdessen: Gedankengluckser, die ins Leere verpuffen.

Kluge Köpfe haben sich vor fast 70 Jahren zum Schweizer Erfinder- und Patent-Inhaberverband Schweiz zusammengeschlossen: Freigeister, Forscherinnen, Mediziner, Ingenieurinnen, Biologen und Chemikerinnen, die sich unter anderem regelmässig an Messen treffen und dort ihre Einfälle gegenseitig präsentieren – in der Hoffnung, dass jemand daran Gefallen findet, ihre Entwicklungen weltbekannt und sie selbst steinreich macht. Denn Erfindungen, so die Gründer des gemeinnützigen Verbandes, sind eine wichtige Ressource der modernen Welt. Vor allem Länder wie die Schweiz, denen es an Bodenschätzen mangelt, sind darauf angewiesen. Entsprechend lang ist die Reihe der grossen und kleinen Dinge, die zwischen Basel und Bellinzona erfunden wurden. Billiguhren, Sackmesser, Würfelzucker – allesamt Made in Switzerland.

Grosses Sterben auf See

Manchmal sind es scheinbare Nichtigkeiten, die die Welt revolutionieren. Dazu fällt mir beispielsweise der englische Botaniker und Arzt Nathaniel Bagshaw Ward (1791–1868) ein, auf den der interkontinentale Pflanzenhandel zurückgeht. Der Mann wurde in eine Zeit hineingeboren, in der Abenteurer, Entdecker und Eroberer in die Welt hinauszogen, um ferne Länder zu erkunden. Gleichzeitig wuchs in Europa das Interesse an Pflanzen aus Asien, Amerika und dem südlichen Afrika. Für Exoten wurde damals ein Heidengeld bezahlt, insbesondere für Orchideen. Das weckte bei den Weltenbummlern Gier und Begehrlichkeiten. Sie beuteten Wälder und andere Naturstreifen aus – ohne Skrupel. Doch oft waren Entdecker und Eroberer auf der Heimreise monatelang auf hoher See unterwegs. Die langen Wegstrecken waren beschwerlich und gefährlich – und das Grün, das sie horteten, überlebte die Strapazen kaum je. Zumal Seefahrer meist über keinerlei botanische Kenntnisse verfügten, wie sie die lebendige Fracht zu behandeln haben. Das Sehnen europäischer Pflanzensammler blieb – von wenigen Ausnahmen abgesehen – entsprechend unerfüllt.

Zeichnung eines Wardschen Kastens
© public domain

Dann aber machte Nathaniel Bagshaw Ward seine Erfindung, die den Pflanzenhandel auf dem Seeweg revolutionieren sollte. Er dachte sich einen gläsernen, geschlossenen Behälter aus, der einem kleinen Gewächshaus ähnelt, und füllte diesen mit Erde. Eigentlich wollte er darin die Puppen von Schmetterlingen schlüpfen lassen. Doch stattdessen begannen in der Erde grüne Halme zu keimen. Der Brite schloss daraus, dass sich in seiner Konstruktion Pflanzen für beschränkte Zeit am Leben erhalten lassen. Warum sie also nicht dazu nutzen, um botanische Exoten unbeschadet über die Ozeane zu transportieren? Im Juli 1833 schickte er die ersten beiden Kästen auf eine sechsmonatige Seereise nach Australien. Als sie dort eintrafen, waren die darin gepflanzten Farne und Gräser allesamt noch wohlauf. 

Ein Segen für den Pflanzenhandel

Das erste Kapitel der Erfolgsgeschichte war damit geschrieben: Der Wardsche Kasten schützte fortan Gemüse und Stauden vor der salzigen Gischt, vor Staub und heftigen Temperaturschwankungen. Parallel bot er ihnen genügend Sonnenlicht. Die neue Transportmethode beschleunigte damit den globalen Austausch von Zier- und Nutzpflanzen ungemein. Sie brachte Sonnenblumen, Hortensien und Sonnenhüte in unsere Gartenkultur. Der schottische Forschungsreisende Robert Fortune (1812–1880) konnte überdies dank dem neuen Behälter 20 000 Teepflanzen aus China nach Indien und in die Vereinigten Staaten schmuggeln und damit das chinesische Teemonopol brechen. Auch die Banane wurde in Wards Erfindung erfolgreich um die Welt geschippert. Diese stand übrigens bis weit in die 1960er-Jahre hinein für den Versand von Zier- und Nutzpflanzen im Einsatz. Dann wurden Transportwege und Techniken verbessert, und der kluge Kasten geriet in Vergessenheit.

Der englische Botaniker und Arzt Nathaniel Bagshaw Ward zeigt eindrucksvoll: Auch mit scheinbar kleinen Erfindungen lässt sich grosses bewegen. Diesem Beispiel will ich bald nachstreben und habe auch schon einen Plan geschmiedet, wie ich das anstellen will. Ich möchte aus ausgelatschten Turnschuhen Flugzeuge bauen, mit denen wir emissionsfrei um die Welt düsen können. Falls Sie eine Idee haben, wie sich das anstellen lässt: Bitte melden. 

Der Gartenpöstler

Roland Grüter (61) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Er lebt in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. An dieser Stelle schreibt der Journalist regelmässig über Spass und Spleens im grünen Bereich.

Beitrag vom 17.09.2022

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