© Iuliu Illes/ unsplash

Frühling, komm!

Unser Gartenautor steht mitten in der Winterpause. Die Vorfreude auf wärmere Zeiten wächst, die Langeweile setzt ihm zunehmend zu. Statt Rosen pflegt er nun Neurosen. 

Wahrscheinlich kennen Sie das Gefühl: Wir stehen vor einem besonderen Moment, vor einem Treffen mit einer Freundin, die wir schon ewig nicht mehr gesehen haben, vor einem Konzert unseres Lieblingssängers oder vor einer schönen Reise. Und je näher das Ereignis rückt, je grösser wird die Anspannung. Wir werden unruhig, die Zeit scheint stillzustehen, sie will einfach nicht zerrinnen. Minuten kommen uns wie Stunden vor, und in unserer Not beginnen wir, seltsame Dinge zu machen. Wir schauen ständig auf die Uhr, beginnen zu essen oder zu putzen – als ob sich dadurch der Zeitfluss beschleunigen liesse.

Mich jedenfalls verleitet die Vorfreude verlässlich zu solchen Torheiten. Und ich wiederhole sie immer und immer wieder, obwohl mich die Erfahrung längst gelehrt hat, dass sie nicht wirklich helfen. Ein Beispiel: Ich schaue mindestens 88 Mal pro Tag aufs Smartphone – deshalb ist aber keine einzige Nachricht schneller in mein Email-Fach gesegelt. Falls Sie damit bessere Erfahrungen gemacht haben: Für Tipps bin ich äussserst dankbar. 

Ein Ritual – oder doch eher ein Zwang?

Zurück zum Thema: Manche bezeichnen wiederkehrende Handlungen als Rituale, andere als Zwänge. Wahrscheinlich liegen die meisten Spleens irgendwo dazwischen. Zumindest rede ich mir das ein, denn damit wirken Angewohnheiten etwas milder.

Jetzt, im späten Winter, ist dafür gerade Hochsaison. Wie Sie mittlerweile wissen, bin ich ein leidenschaftlicher Pflanzenfreund und deshalb seit Monaten krass unterbeschäftigt. Statt meinen grünen Daumen in die Beete zu rammen, drehe ich diesen nun ständig im Kreis. Und sehne mich wärmeren Tagen entgegen. Die Fenster sind längst geputzt, die Schränke geordnet, alle anderen Ablenkungsversuche getan. Kurzum: Die Warterei nervt zusehends, was leider keine gute Laune macht. Falls Sie sich nicht in meine Gemütslage versetzen können: Nehmen Sie Ihrem kleinen Enkel oder Ihrem Söhnchen bei Gelegenheit das Lieblingsspielzeug weg und warten, wie das Kind darauf reagiert. 

Genauso fühlt es sich in meinem Naturherzen an. Nur schreie ich den Frust nicht aus der Brust, so wie ein Kind auf Spielzeugentzug. Stattdessen reagiere ich mich eben mit ritualisiertem Nonsens ab. Ich drehe also täglich meine Gartenrunden und recke über den Beeten allenthalben den Hals: in der Hoffnung, im tiefgekühlten Boden doch neues Leben oder ein anderes Wunder zu erspähen. Tragen die Hortensien bereits pralle Blattknospen? Recken die Frühlingsblüher, die Tulpen und Narzissen, ihre Blattspitzen aus der Erde? Ist die Katzenminze startklar für den Neustart? Sind die Strauchrosen wohlauf? Und obwohl die Antworten anders ausfallen, als es mir lieb ist, kehre ich anderntags in die winterliche Kargnis zurück und stelle die Fragen von Neuem. Eventuell geht doch ein klitzekleiner Ruck durch die Natur, auch wenn die Temperatur tief und der Boden ein gefrorener Klumpen ist: und diesen Ruck will ich auf keinen Fall verpassen. Also besser nachschauen.

Wenn Frau Holle streikt

Für urbane Menschen, die in Beton und Büros leben, mag das alles seltsam klingen. Denn sie wissen nicht, wie gross im Februar-Garten Bedarf an Frühlingsfrische ist. Denn dort, wo es sonst brummt und flügelt, herrscht derzeit graubraune Ödnis. Dürre Halme liegen kreuz und quer auf dem Boden und lassen Paradiese wie ein explodierter Komposthaufen aussehen. Kein schönes Bild – und wenn Frau Holle sich weigert, eine weisse Decke über das Elend zu legen, bleibt dieses im Winter unbedeckt, was bei ihren Besitzerinnen und Besitzern Frühlingssehnsüchte geradezu befeuert, nach frischem Grün und üppiger Fülle. Zumindest ist es bei mir so. 

Der Gartenpöstler

Roland Grüter, Gartenkolumnist der Zeitlupe

© Jessica Prinz

Roland Grüter (60) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Heute lebt er in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.


Beitrag vom 02.02.2022

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