Der Traumgarten
Zwar lässt der Frühling noch auf sich warten: Aber die Phantasien leidenschaftlicher Hobbygärtnerinnen und -gärtner stehen bereits in Hochblüte. Mit weitreichenden Folgen, wie unser Kolumnist weiss.
Vor mir auf dem Tisch stapeln sich die Samentüten. Genau 26 sind in den vergangenen Wochen zusammengekommen, 11 Gemüse- und 15 Blumensorten. Daraus sollen bald junge Pflänzchen wachsen. Ich stelle mir vor, wie bald schon Wicken keimen und sich kurz danach an den Drahtseilen emporwinden und damit die hässliche Hausfassade bedecken, die in meinen Garten abfällt. Ich sehe, wie sich Sonnenblumen in die Lüfte wuchten und wie das Blattwerk der Kapuzinerkresse die Lücken in den Beeten schliesst. Und für meinen 5-jährigen Patchwork-Enkel Béla werden hoffentlich bald schon Gurken in den Himmel wachsen. Denn der Kleine liebt dieses Gemüse – und ich Béla. Folglich soll auch ihn die Saat, die noch in Papier gewickelt ist, glücklich machen. Die Bilder auf den Saatbriefchen befeuern meine Phantasien zusätzlich. Darin gibt es weder Schnecken noch Hagel – nur Sonne und kräftiges Grün. Daran will ich einen Moment glauben. Obwohl ich aus Erfahrung weiss, dass Perfektion im Garten meist ein Traum bleibt. Ein Traumgarten halt.
Es gibt viele Gründe, weshalb man Blumen und Gemüse selber ziehen sollte. Damit lässt sich ordentlich Geld sparen, denn Setzlinge sind weit teurer. Darüber hinaus ist das Angebot, das man im Handel findet, weit grösser. Man findet leicht alte und rare Sorten. Darüber hinaus entspringen der hausgemachten Saatkultur in der Regel stärkere und damit gesündere Pflanzen. Mich aber treibt ein anderes Motiv in den Samenhandel: Langeweile. Denn im Winter fehlt mir der Garten ungemein, also treibe ich mich ständig in digitale Gartenwelten um und erkunde im Internet entsprechende Online-Shops. Was immer wieder meinen Klick-Finger zucken lässt, der gleich neben dem Grünen Daumen sitzt. Das Resultat davon liegt nun auf dem Tisch: 26 Samentütchen.
Ich schreibe oft und gerne über das Gartenlatein – und weiss nur allzu gut, dass auch andere Hobbygärtnerinnen und -gärtner zum Rausch-Kauf neigen. Deshalb raten uns Profis allenthalben zur Mässigung. Sortenlisten und Bepflanzungspläne sollen den Klick-Finger bändigen. Doch wo Lust ist, bleibt Vernunft oft machtlos. Das lehrt uns das Leben immer wieder und nicht nur im Hobbygarten. Also was solls? Ich bin und bleibe eine Bestell-Liesel.
Leider sind meine Phantasien weit grösser als mein Garten. Also wohin mit den Papierblümchen, die mich an den Garten meiner Eltern erinnern? Wo soll die Tondo di Picenza wuchern, eine Zucchinisorte, deren Geschmack so einzigartig ist wie die runde Form? Was tun mit den blauen Lupinen, die als Gründüngung unbewachsene Stellen besiedeln sollen, die unbewachsenen Stellen aber knapp sind? Wohin mit den fünf verschiedenen Malven?
Not macht erfinderisch. Ich habe mit meinen Nachbarskindern bereits ausgemacht, dass sie ein paar der überzähligen Pflänzchen, die dereinst aus den Samen wachsen, verkaufen und sich etwas Taschengeld verdienen können. Ein Teil davon werde ich an Bekannte und Freunde verschenken. Der überwiegende Teil aber bleibt mir erhalten – und dieser treibt mich neuerlich vor den Computer. Neue Blumentöpfe müssen her, Pflanzsäcke für die Petunien, eine Ampel für die Kräuter und ganz viele Säcke voller Gartenerde. Auch die Stechschaufel steht schon parat. Damit will ich das letzte Stückchen Wiese umgraben und mit neuen Setzlingen füllen. «Grosses entsteht im Kleinen», bemerkte einst ein kluger Mann. Wie Recht er damit hat! Der Frühling kann kommen.
Hier gibt es Samen von seltenen, alten und Bio-Sorten: www.sativa.ch und www.zollinger.bio
Roland Grüter (60) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Sein erstes Reich hat er vor 40 Jahren aus Not angelegt – er wollte die Pflanzen aus dem Garten eines Hauses retten, das abgerissen wurde. Heute lebt er in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Eine Ecke ist darin für Gemüse reserviert. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.
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Super! Was für ein super Hobby! Jedes Jahr, wenn alles im Frühling aufwächst, planniere ich meinen grossen Sitzplatz im schönen Garten, in welchem ich Fotoshooting machen könnte für Familien, schwangere Mütter und neugeborene Babys. Vielleicht dieses Jahr schaffe ich es! Es wäre wirklich schon…