Die Sexualmedizinerin Eliane Sarasin beantwortet Ihre Fragen zu Liebe, Partnerschaft und Sexualität – ohne Tabus und falsche Scham.
«Ich bin seit einiger Zeit in der Menopause. Gegen meine Wechseljahresbeschwerden nehme ich täglich ein Östrogen-Gel und Progesteron-Kapseln. Nun habe ich kürzlich in einem Artikel gelesen, dass auch der weibliche Körper Testosteron produziert, und dass man dieses Hormon in der Menopause ebenfalls ersetzen kann. Ich fühle mich oft kraftlos und müde. Soll ich meine Gynäkologin bitten, mir Testosteron zu verschreiben?»
Evelyne, 61
In letzter Zeit kommt es häufiger vor, dass meine Patientinnen mich auf dieses Thema ansprechen, weil dazu etliche Berichte in den Medien erschienen sind. Es stimmt, die Eierstöcke produzieren nicht nur das weibliche Sexualhormon Östrogen, sondern auch das als männlich geltende Testosteron, welches für die Regulierung wichtiger Funktionen im Körper notwendig ist.
Testosteron hat einen grossen Einfluss auf unsere Sexualität. In ihrer fruchtbaren Phase spüren Frauen dank dieses Hormons vor dem Eisprung besonders grosse Lust auf Sex. Das hat die Evolution so eingerichtet. Testosteron regelt auch den Muskelaufbau, allerdings auf viel kleinerer Flamme als beim Mann. Zudem ist es eine Art Vorstufe von Östrogen, der Körper kann Testosteron in Östrogen umwandeln. Während das Östrogen in der Menopause abrupt abfällt, nimmt der Testosteronwert im Laufe des Lebens langsam, aber stetig ab. Das beginnt schon einige Jahre vor der letzten Monatsblutung.
Gegen die typischen Wechseljahresbeschwerden wie Wallungen, Schlafstörungen oder Gelenkbeschwerden wird heute Östrogen verschrieben, wenn medizinisch nichts dagegen spricht. Frauen, deren Gebärmutter nicht operativ entfernt werden musste, bekommen dazu auch Progesteron. Eine zusätzliche Testosteronersatztherapie ist bisher nur bei sexueller Lustlosigkeit, dem sogenannten Libidomangel, in der Menopause untersucht. Dass sich das Hormon positiv auf die weibliche Sexualität auswirkt, haben mehrere wissenschaftliche Studien gut belegt. Leidet eine Frau nach den Wechseljahren an ihrer eingeschränkten Lust, kann Testosteron also durchaus die richtige Wahl sein.
Einige Frauen berichten, dass sie während der Therapie mehr Power hatten, sich durchsetzungsstärker und weniger antriebslos fühlten. Ein solcher Testosteroneffekt auf Frauen wurde bisher aber nicht wissenschaftlich untersucht. Es gibt dazu nur Einzelfallberichte, keinerlei Studien. Man weiss auch nichts darüber, ob und wie sich die Hormongabe auf das Brustkrebsrisiko auswirken könnte. Kommt dazu, dass die Wissenschaft beim Testosteron noch gar keinen klaren Normwert für Frauen definiert hat. Manche haben sehr tiefe Werte, fühlen sich aber trotzdem wunderbar und haben auch guten Sex. Andere haben hohe Werte und fühlen sich dennoch schlapp. Wegen all dieser Unklarheiten wird eine Testosteronbehandlung bei Frauen in der Schweiz einzig bei Libidomangel in der Menopause medizinisch empfohlen. Wer die Therapie aus anderen Gründen möchte, kann sich nicht auf gute Daten abstützen. Zudem wird die Testosterontherapie meist nicht von der Krankenkasse bezahlt, auch nicht bei Libidomangel.
Wichtig zu wissen ist ausserdem, dass Testosteron Nebenwirkungen haben kann: unreine Haut, Haare an Orten, wo man sie nicht haben will, etwa im Gesicht, oder eine tiefere Stimme. Diese unerwünschten Nebenwirkungen sind zum Glück sehr selten. Wichtig ist es, den Testosteronspiegel im Blut während der Therapie zu kontrollieren.
Trotz all dieser Bedenken kann es im Einzelfall Sinn machen, eine Testosteronersatzbehandlung auszuprobieren, vor allem für Frauen, die sich in der Menopause plötzlich sehr müde und abgeschlagen fühlen und sagen: Das kenne ich gar nicht von mir. Dies selbstverständlich nach Ausschluss anderer Ursachen wie zum Beispiel einer Unterfunktion der Schilddrüse. Dann versucht man, den Testosteron-Spiegel wieder auf ein Level wie vor der Menopause anzuheben. Versprechen Sie sich aber nicht zu viel davon, ein Effekt ist nicht garantiert. Ich habe selbst eine Weile Testosteron genommen. Ein Selbstversuch, weil ich wissen wollte, ob es mir helfen könnte. Gemerkt habe ich davon überhaupt nichts. Null.![]()
- Hier lesen Sie ein Interview mit unserer Expertin, und hier finden Sie die anderen Beiträge dieser Rubrik.
- Mehr zum Thema Liebe und Sexualität finden Sie in unserem Dossier: «Liebe ist…»
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