Manche haben ihr Leben lang von Pirouetten und Arabesken geträumt. Andere möchten wieder jenes wunderbar leichte Gefühl von früher erleben. Bei den «Silberschwänen» im Ballettkurs von Pro Senectute Stadt St. Gallen werden Mädchenträume wahr. Ganz nebenbei profitieren Muskeln, Gehirn und nicht zuletzt die Seele.
Text: Annegret Honegger
Tragt ihr Tutu? Das ist wohl die Frage, welche die «Silberschwäne» am häufigsten hören, wenn sie von ihrem Ballettkurs erzählen. Tatsächlich wird jeweils am letzten Tag eines Kursblocks in eleganten Tutus getanzt. Doch in den Lektionen von Claudia Hansjakob geht es um so viel mehr.
Um das Gefühl des Fliegens und Schwebens etwa. Darum, Geschmeidigkeit zu erleben und sich lebendig zu fühlen. Und um Muskelkater. «Letzte Woche habe ich meine Beine so richtig gespürt», erzählt eine Teilnehmerin in der Garderobe. Auch anderen erging es so. Denn hinter der federleichten Tanzkunst steckt harte Arbeit.
Im Saal mit den grossen Spiegelwänden wärmt Claudia Hansjakob Muskeln, Sehnen und Bänder sorgfältig auf. Geht es vielleicht hier noch etwas weiter nach vorne, dort mehr nach unten? «Lotet aus, wozu euer Körper bereit ist.» Auch an der Stange muss bei den Grundpositionen vom kleinen Zeh bis zur Fingerspitze und zur Drehung des Kopfes jedes Detail stimmen.
Die Kursleiterin korrigiert hier einen Arm, dort eine Schulter oder einen wackligen Stand. Verblüffend, wie wenig zu mehr Eleganz führt. Oft gibt es Anlass zu Gelächter, dann wieder herrscht konzentrierte Ruhe und man hört bloss das Gleiten der Ballettschuhspitzen auf dem Boden und Claudia Hansjakob: «Fünf, sechs, sieben, acht …»
Zu Klavierklängen ab dem Tablet werden die Schrittfolgen komplizierter. Nicht nur der Körper, auch das Gehirn gerät ins Schwitzen. Port de Bras, allongé, croisé, plié, chassé … die Sprache des Balletts klingt von Paris über London bis nach St. Petersburg und St. Gallen gleich. Ebenso gelte überall: «Im Ballettsaal herrscht keine Demokratie.» Allein der Takt der Musik regiert. Immer mit- und vorauszudenken, um keinesfalls aus der Reihe zu tanzen, ist deshalb zentral.
Die ehemalige Profitänzerin leitet ihre Gruppe mit viel Schwung, Humor und Sorgfalt. Claudia Hansjakob hat ihre Ausbildung im klassisch russischen Stil absolviert, dem strengsten der Welt. Dessen Präzision und Eleganz will sie auch ihrer Gruppe vermitteln. Ihre Schülerinnen – auch Männer wären willkommen – sollen kein «Seniorinnenballett» lernen, sondern im Theater oder im Kino sagen können: «Genau so machen wir das auch.»
«Ausgezeichnet!» lobt die Kursleiterin zum Schluss und freut sich, wie viel fliessender und sicherer viele Bewegungen geworden sind. Dass es immer etwas zu verbessern gebe, gehöre dazu: «Ballettchefs kritisieren euch selbst dann, wenn alles perfekt und das Publikum begeistert war.»
Mit zufrieden geröteten Gesichtern verschwinden die Frauen plaudernd in der Garderobe. Auch sie erzählen von Fortschritten und körperlichen Veränderungen dank des Tanzens. Aufrechter, standfester und kräftiger fühle sie sich, sagt jemand. Leichter, beweglicher und beschwingter eine andere. Eine Teilnehmerin geniesst es, fast vergessene Bewegungen wie das Rennen und Hüpfen wieder zu entdecken. Eine zweite berichtet: «Das Training belebt mich vom Kopf bis hinunter in die Füsse.» Und eine dritte stellt fest: «Seit ich hierherkomme, habe ich wieder eine Taille.»
Glück und Freude sind die Worte, die am häufigsten fallen. Etwa wenn eine frühere Tänzerin vom Heimweh nach dem Ballett erzählt und wie schön es sei, trotz Arthrose und zwei künstlichen Kniegelenken mitmachen zu können. Eine andere Teilnehmerin zückt ihr Handy und zeigt Bilder vom Fotoshooting im Tutu. Seither, sagt sie lachend, seien auch ihre Enkel beeindruckt vom Grossmueti, das ins Ballett geht: «Sie finden, ich sehe aus wie eine Influencerin.»
Wer noch Treppensteigen und eine Weile auf einem Bein stehen könne, könne auch tanzen, betont Claudia Hansjakob. Ballett sei ideal, um die im Alter schwächer werdende Muskulatur und Balance «wieder aus dem Dornröschenschlaf zu wecken». Und weil Ballett höchste Konzentration erfordere, tanze man zumindest für eine Weile auch den Sorgen davon.
Egal, ob jemand früher selbst tanzte oder immer schon davon träumte: Bei den «Silberschwänen» können «Ladies und Gentlemen» endlich wieder oder das erste Mal Ballettluft schnuppern. In 4 Kursblöcken à 6 Lektionen pro Jahr lernen sie Ballett nach der russischen Vaganova-Schule. Während einer Stunde konzentrierter Körperarbeit mit Rücksicht auf die persönlichen körperlichen Gegebenheiten studieren sie zu klassischer Klaviermusik kleine Tänze ein. Voraussetzung sind Interesse am Ballett und Freude an der Bewegung.
Die nächsten Kurse mit Claudia Hansjakob beginnen am 13. August und am 22. Oktober. Informationen: Pro Senectute Stadt St. Gallen, Telefon 071 227 60 00, Mail st.gallen@sg.prosenectute.ch, sg.prosenectute.ch
Angebote in Ihrer Nähe finden Sie bei Pro Senectute in Ihrer Region. Adressen via prosenectute.ch oder unter der Infoline 058 591 15 15.
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