Pascal Düringer, Leila Hatt und Marianne Cereghetti © Sonja Ruckstuhl

Aus Alt wird Neu

Der angejahrte Mantel wird rundum erneuert, die bestickten Tischtücher zu Röcken verwandelt: The Pink Sheep, ein Zürcher Start-up, schenkt alten Kleidern ein zweites Leben. Es will Menschen dazu inspirieren, ihren Kleiderfundus aufzuwerten, statt Neues zu kaufen.

Text: Roland Grüter, Fotos: Sonja Ruckstuhl

Rrrrrr, rrrrrr! Das Rattern der Industrienähmaschinen klingt wie Musik. Vor der Erfindung dieser Maschinen war die Fabrikation von Kleidern aufwändig, die Menschen hatten bloss das Nötigste in ihren Kästen hängen. Sie trugen ihre Bekleidung so lange, bis sie abgewetzt oder von Motten zerfressen waren. Die industrielle Fertigung jedoch machte Mode zur Massenware – und damit zum Wegwerfartikel. Kaum gekauft, landen über 60 Prozent der Textilien sogleich in der Altkleidersammlung. Allein in der Schweiz fallen jährlich 50 000 Tonnen Kleider und Schuhe an. Kritiker sprechen von schneller Mode – und raten uns zu mehr Vernunft.

Aufwerten statt wegwerfen

Auch im Ladenlokal des Zürcher Start-ups The Pink Sheep ist das Surren der Nähmaschinen zu hören, deren Sound aber ist ein anderer: Anstatt zusätzlichen «Modemüll» zu produzieren, erhalten hier alte Kleider oder Textilien ein zweites Leben. Die goldene Jacke wird zur Handtasche, die Krawatte zum textilen Schmuckstück, die bestickten Tischtücher zu Glockenjupes, Omas Seidenbluse zum modernen Modeteil. Auf Kundenwunsch werten Leila Hatt, Pascal Düringer, Marianne Cereghetti, die Initiantinnen und Initianten des Ateliers, die Fundstücke ihrer Klientel selber auf – oder lehren diese in Kursen, wie sie die textilen Oldies selber umarbeiten können. Und wer bereits kreative Ideen und Nähkenntnisse hat, aber nicht das nötige Equipment: Die Industrie-, Overlock- und Haushalts-Nähmaschinen, die im Westen von Zürich surren, können stundenweise zur freien Nutzung für zehn Franken gemietet werden. Rentnerinnen und Studenten bezahlen dafür fünf Franken pro Stunde – sie erhalten den Start-Support gratis dazu. 

Leila Hatt, Pascal Düringer und Marianne Cereghetti gründeten ihr Unternehmen im Frühling 2019 in Windeseile – und erfüllten sich damit einen Lebenstraum. Die drei Freunde, allesamt über 50, hatten viel im Leben erreicht, in ihren Familien, der Werbung, im Modedesign und der Hotellerie. Nun wollten sie den Menschen und der Welt ein Stückchen ihres Glücks zurückgeben. Alle drei sind Näh- und Modefans, also rückten sie diese Leidenschaften in den Mittelpunkt ihrer Pläne. «Wir träumten von einer kreativen Werkstatt, in der Nachhaltiges und Neuartiges entsteht und in der ein sozialer und kreativer Austausch stattfindet», sagt Marianne Cereghetti, die eigentlich ein Kaffee gründen wollte, sich nun aber um Näharbeiten kümmert. Sie hat das Atelier gefunden, es ist Teil eines veganen Kaffees. «Auch die Besitzerin des Lokals lebt Nachhaltigkeit», sagt Leila Hatt. «Wir ergänzen uns also prächtig.»

Für die Philosophie, der The Pink Sheep folgt, hat die Modewelt einen Namen erfunden: Upcycling. Altes wird darin zu neuem Schönem aufgewertet. Selbst grosse Modemarken wie Prada oder Missoni greifen mittlerweile auf ihren Kleiderfundus in den Lagern zurück und geben diesem neue Passformen und damit eine neue Zukunft – um damit nicht unnötig Ressourcen zu verschwenden. Auch in der Möbelindustrie ist Upcycling ein wichtiges Thema. Für viele Anbieter ist die Ideologie eine neue Einnahmequelle – ihr Bekenntnis zur Nachhaltigkeit reicht aber leider oft nicht übers Etikett hinaus.

Kleine Upcycling-Kollektion

Nicht so bei The Pink Sheep. Das Unternehmen stellt zwar auch eine kleine Upcycling-Kollektion für den Verkauf her: Sie umfasst rund 30 Teile, alles Einzelstücke. Doch weit wichtiger ist es den Verantwortlichen, Menschen vom Kaufrausch zu kurieren – aus dem eigenen Fundus zu schöpfen, statt Neues zu kaufen. Menschen sollen ihre alten Kleider zu ihnen bringen – und für erstaunlich faire Preise ein Unikat zurückbekommen. Oder zumindest eine Idee, was sich daraus gestalten liesse. 

«Wir möchten Menschen motivieren, Kleidungsstücke selber zu upcyclen, zu ändern, zu reparieren oder anzupassen», sagt Leila Hatt, die lange in der Werbung tätig war. Ist die Welt parat für die Upcycling-Idee? «Auf jeden Fall», sagt Pascal Düringer, der drei Jahrzehnte in New York und Tokio in der Textilindustrie als Designer tätig war: «Unser Atelier ist zwar noch jung – die Reaktionen darauf sind aber rundum positiv.» 

Sogar die Erfinderin der Fast Fashion hat erkannt, wie fragwürdig ein Leben im Wegwerfmodus ist: H&M startete 2018 in seinem Flagshipstore in Hamburg einen Pilotversuch und liess für Kundinnen und Kunden alte Kleider umgestalten und umnähen. Darüber hinaus lancierte der Billiganbieter einen Flickservice für kaputte Kleidung. Titel des Programms: Take care – trag Sorge. ❋

Mehr Informationen:
The Pink Sheep, Breitensteinstrasse 14, 8037 Zürich, thepinksheep.ch.

Beitrag vom 10.02.2020