Aus der Not geboren: Kinderarbeit damals und heute
Im Haus, auf dem Feld, in Heimen, Fabriken oder in der Fremde: Dass Kinder arbeiten, galt lange Zeit als ebenso notwendig wie normal. Die neue Ausstellung im Zürcher Landesmuseum zeigt jedoch, dass Kinderarbeit längst nicht nur ein Problem der Vergangenheit ist.
Kinderarbeit war ein fester Bestandteil des Alltags, noch bevor Fabriken die Landschaft prägten. Wenn das Einkommen der Eltern nicht ausreicht, müssen Kinder mit ihrer Arbeit im Haushalt, auf dem Hof oder in der Heimarbeit zum Überleben der Familie beitragen. Mädchen klöppeln und verkaufen im Berner Oberland Spitzen. Kinder übernehmen in ländlichen Regionen Flechtarbeiten – oft den ganzen Tag, manchmal auch nachts. Hirtenjungen hüten auf den Alpen das Vieh, helfen beim Käsen und Melken – und sind in der Abgeschiedenheit den Launen der Sennen ausgeliefert. In der textilen Heimarbeit unterstützen Kinder ihre Eltern, indem sie Schiffchen füllen, spulen, fädeln, haspeln und Seide putzen.

Mit der industriellen Revolution beginnt die Ausbeutung der Kinder als Arbeitskräfte in den Fabriken. Sie werden für körperlich nicht besonders anspruchsvolle, aber manchmal gefährliche und meist schlecht bezahlte Tätigkeiten eingesetzt. In stickigen Textilfabriken, in der Seidenindustrie oder in den Glarner Stoffdruckereinen arbeiten schon Sechsjährige, oft bis zu 16 Stunden am Tag. Erst das 1877 knapp angenommene Fabrikgesetz verbietet Kinderarbeit unter 14 Jahren und begrenzt die tägliche Arbeitszeit auf elf Stunden.
Bildung statt Arbeit

Die Einführung der Schulpflicht 1874 ist Ausdruck eines neuen Verständnisses von Kindheit: Weg von der wirtschaftlichen Not, hin zu Bildung und Entwicklung. Ein Meilenstein auf einem langen Weg: Noch bis weit ins 20. Jahrhundert müssen Kinder aus armen Familien in fremden Haushalten, als Kaminfeger in Italien oder als Schwabenkinder in Süddeutschland arbeiten. Bis 1981 nehmen Behörden ohne Gerichtsverfahren Hunderttausende Kinder ihren Familien weg, verdingen sie als billige Arbeitskräfte auf Bauernhöfe, platzieren sie in Heimen, geschlossenen Einrichtungen oder gar Strafanstalten. Oft müssen sie dort Zwangsarbeit leisten, werden misshandelt und sexuell ausgebeutet – und leiden bis heute unter den Folgen der körperlichen und seelischen Gewalt.
Die neue Ausstellung «Aus der Not geboren. Arbeitende Kinder» im Landesmuseum Zürich beleuchtet ein schwieriges Kapitel der Schweizer Sozialgeschichte. Sie zeigt, wie sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Kinderarbeit wandelte und würdigt jene, die sich für Bildung und Schutz der Kinder einsetzten. Und sie blickt auch auf die Gegenwart: Noch immer arbeiten weltweit Millionen Kinder – in Minen, auf Kakaoplantagen oder in Textilfabriken. Auch in der Schweiz existieren Formen von Kinderarbeit, wenn etwa Jugendliche aus armutsbetroffenen Familien zum Einkommen beitragen oder ihren gesamten Lehrlingslohn abgeben müssen. So regt die Ausstellung zum Nachdenken an: über Armut, Verantwortung und über den Wert von Kindheit damals wie heute.
«Aus der Not geboren. Arbeitende Kinder»: 19. Dezember 2025 bis 20. April 2026 im Landesmuseum Zürich.
Führungen für Senior:innen jeweils am Donnerstag um 14 Uhr am 15. Januar, 5. Februar, 5. März und 16. April 2026. Öffentliche Führungen für alle am 30. Dezember 2025, 10./15. und 31. Januar, 21. und 26. Februar, 7. und 26. März sowie am 4./9. und 18. April 2026.
- Fremdplatzierung: Was Uschi Waser als Mündel des «Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse» erlitt, prägt ihr Leben bis heute.
- Versorgt, verdingt – aber nicht vergessen: Das Projekt «erinnern für morgen» des Bundesamtes für Justiz informiert, arbeitet auf und vermittelt.