Raus aus dem Alltag, um Neues auszuprobieren. Diesmal verabredet sich Maximilian Jacobi mit einem Life Coach.
Text: Maximilian Jacobi
Einen Coach brauche ich eigentlich nicht. Doch die Falle schnappt zu, als ich an einer Hauswand den Briefkasten entdecke, rot wie ein Bremslicht. «Für ein Gespräch über Unausweichliches» steht darauf, «Zettel ausfüllen und einwerfen». Ich will wissen, wer so einen Briefkasten aufhängt, hier in meinem Quartier in Basel.
Der Kasten hängt an der Tür eines ehemaligen Ladens, die Schaufenster sind dunkel. Im Raum dahinter erkenne ich die Umrisse von Sitzmöbeln. Also schreibe ich auf den Zettel etwas von Medienkrise, Unsicherheit und ewig drohender Kündigung, darunter meine Telefonnummer. Ich werfe das Papier ein und haste weiter.
Ein paar Wochen später kommt die SMS: «Vielen Dank für Ihre Nachricht.» Unterzeichnet mit «Peter Szabó». Ich google den Namen und finde einen Coach, der Unternehmen wie Roche und Lufthansa zu seinen Kunden zählte. Bin ich auf einen Marketing-Gag reingefallen? Wir verabreden uns.
Wieder ein paar Wochen später stehe ich erneut vor den Schaufenstern. Bevor ich klingeln kann, geht die Tür auf. In ihr steht ein hagerer 68-Jähriger mit weisser Mähne und Vollbart. Er führt mich in eine ehemalige Bäckerei, die heute seine Wohnung ist. Ich setze mich auf eine Couch, er nimmt in einem Sessel gegenüber Platz.
Peter hat Alzheimer, «ein Geschenk», nennt er die Krankheit. Sie lehre ihn, loszulassen. Zuerst die Erinnerungen, dann die Orientierung, dann sich selbst. Gäbe es eine bessere Vorbereitung auf den Tod? Kürzlich ging er zweimal hintereinander in die Apotheke. Ihm war entfallen, ob er die Pillen, die den Gedächtnisschwund verzögern sollen, schon abgeholt hatte. Er lacht, als er das erzählt.
Peter arbeitet nicht mehr. Er hat den Briefkasten aufgehängt, weil er gern mit Menschen über Dinge spricht, die sie beschäftigen. Und er ist gut darin. Er, der Kranke, nimmt mich ernst, wenn ich erzähle, von sinkenden Werbeeinnahmen, künstlicher Intelligenz und ungewisser Zukunft.
Als ich nach unserem Gespräch gehe, winke ich durch die dunklen Schaufenster. Dank des Menschen dahinter weiss ich wieder, dass meine Probleme eher Problemchen sind. ![]()
Peter Szabó möchte nicht, dass die Adresse seines roten Briefkastens bekannt wird. Er führt ein bis zwei Gespräche pro Monat, das genüge ihm. Wer aber einen Coach sucht, findet im Internet zahlreiche Angebote.