Die Literaturbranche gilt als ultrahartes Pflaster. Viele Verlage stehen finanziell auf wackligen Beinen. Doch Anne Rüffer hält mit ihrem Sachbuchverlag nun schon seit 25 Jahren durch. Wie schafft sie das?
Text: Claudia Senn, Fotos: Christian Senti
Wer in der Buchbranche arbeiten will, muss von Luft und der Liebe zu Büchern leben können. Mehr als der Mindestlohn ist für gewöhnlich nicht drin. Zu klein sind die Gewinnmargen. Zu aufwendig der Prozess, bis ein Buch endlich gedruckt ist. Zu gross das Risiko, dass am Ende nur wenige Leserinnen und Leser die vierzig Franken dafür auf den Tresen legen. Büchermachen ist ein Beruf für Furchtlose, die auch ohne finanzielle Sicherheit klarkommen. Für Leidenschaftliche, die ihrer grossen Liebe, den Büchern, alles andere unterordnen. So ein Mensch ist Anne Rüffer.
«Ich frage mich schon, wie lange die Kräfte noch reichen.»
In ihrem Loft unter dem heissen Blechdach rattert ein Klimagerät. Ohne Kühlung wäre es hier an diesem Augusttag unerträglich. Rüffer, gross, blond, Mini-Akzent, der nur bei genauem Hinhören die deutsche Herkunft verrät, zeigt ihr unprätentiös eingerichtetes Daheim: den Arbeitstisch voller Manuskripte, die Lukarne, von der aus man erspähen kann, wie voll die Badi Utoquai gerade ist, die über eine Treppe zu besteigende «Cleopatra-Badewanne». «Nicht sehr altersfreundlich», findet die 68-Jährige. Dafür unkonventionell, so wie alles hier drin.
Vor 25 Jahren gründete Anne Rüffer gemeinsam mit der ehemaligen «Tagesschau»-Moderatorin und Lektorin Dominique Rub den Sachbuchverlag Rüffer & Rub. Dieses Jahr ist er vom Schweizer Buchhandels- und Verlags-Verband als «Verlag des Jahres» ausgezeichnet worden. Viele Konkurrenten hat sie in all den Jahren untergehen sehen, oder sie wurden von grösseren Playern geschluckt. Rüffer & Rub steht noch immer aufrecht, ein Vier-Personen- KMU, das inzwischen über 150 Sachbücher publiziert hat.
Es sind die schweren Themen, denen sich Rüffer & Rub verschrieben hat, jene, die andere Verlage gern als Kassengift bezeichnen: Demenz, Depressionen, Krebs. Zudem sind Kulturthemen, Zeitgeschichtliches und Bücher von Menschenrechtlern mit im Programm. Diesem Profil bleibt der Verlag treu, egal, welche Trends den Rest der Branche gerade umtreiben. Von teuren Stars lässt er die Finger. Bei Rüffer & Rub schreiben keine Promis, sondern Pflegefachfrauen, Pfarrer oder die afghanische Frauenrechtlerin Sima Samar. Wachstum und Expansion sind erklärtermassen keine Geschäftsziele. «Vielleicht haben wir deswegen so lange durchgehalten», sagt Anne Rüffer, während sie die Kaffeemaschine in Gang setzt. Dem Grössenwahn sei sie nie verfallen.
Mit 17 Jahren verliess Rüffer ihr deutsches Elternhaus, weil sie keine Lust mehr auf die autoritären Sprüche ihres Vaters hatte. Drei Wochen später bereute sie es, aber klein beigeben? Niemals! 1978 zog sie als junge Krankenschwester in die Schweiz, kannte niemanden, lernte im Blitztempo Dialekt, merkte, wie schwierig es ist, als Ausländerin mit Schweizern in Kontakt zu kommen. «Wenn du es hier schaffst, dann schaffst du es auch im Libanon», sagte ihre Freundin Jacqueline, die selbst erfahren hatte, wie schwer der Panzer der Schweizer Zurückhaltung zu knacken ist. Rüffer schaffte es.
Die Arbeit im Spital war in Ordnung, doch was Anne Rüffer wirklich wollte, war Schreiben, am liebsten als Reporterin. Die Schweizer Journalistenschulen nahmen sie als Ausländerin nicht auf. Da wurde sie aus Notwehr eben Werbetexterin, kreierte erst Slogans für Sprüngli-Truffes und Mykonos-Reisen und gründete später mit ihrem damaligen Partner eine eigene Agentur.
Ein Jahrzehnt später waren Mann und Firma wieder passé. Der Wunsch, auch weiterhin den Lebensunterhalt mit Schreiben zu verdienen, blieb ihr jedoch erhalten. Zum Glück brachen nun die goldenen Zeiten des Journalismus an. Rüffer arbeitete als freie Mitarbeiterin für die «Weltwoche», angeleitet von der grossen Margrit Sprecher und der auch nicht eben kleinen Klara Obermüller, den Doyennes der damals hochkarätigen Wochenzeitung (Roger Köppel war zu jener Zeit noch ein harmloser Student).
Daneben drehte sie gemeinsam mit dem Regisseur Stascha Bader Dokumentarfilme fürs Schweizer Fernsehen. Die Themen konnten von Anfang an nicht heftig genug sein: Kinder- und Jugendsuizid, Essstörungen, Schizophrenie. «Mich interessierte immer, welche Kräfte Menschen mobilisieren können, wenn sie wirklich an ihre Grenzen kommen», sagt Anne Rüffer. Den Leuten ein Stück weit die Angst vor der Katastrophe nehmen, die jederzeit auch über ihr eigenes Leben hereinbrechen könnte – das wollte sie. Es ging so lange gut, bis Otto C. Honegger, der damalige Leiter der Dokumentarfilm-Redaktion, pensioniert wurde. Seine Nachfolger meinten, sie hätten die sterbenden Kinder, die Trauer und die Krankheiten satt. Die hedonistischen 90er-Jahre forderten ihren Tribut. Rüffers existenzielle Themen galten nun nicht mehr als tiefgründig, sondern als unsexy.
«Mich interessierte immer, welche Kräfte Menschen mobilisieren können, wenn sie wirklich an ihre Grenzen kommen.»
Anne Rüffer wagte den Schritt zur Verlegerin. Eines der ersten Bücher mit Reportagen aus dem Todestrakt von Margrit Sprecher gab sie noch beim Haffmans-Verlag heraus – der 2001 krachend in Konkurs ging. Also gründete sie mit Dominique Rub ihren eigenen Verlag. Leicht war der Start nicht. Zwei Jahre lang schuftete sie sieben Tage pro Woche, flog jeden Montag nach Hamburg zu ihrem Zweitjob, der den Verlag querfinanzierte. Rüffer baute dort für einen deutschen Konzern die Books-on-Demand- Technologie auf, mit deren Hilfe heute jeder Privatmensch ein Buch drucken lassen kann, auch in winzigen Auflagen.
Bis heute könnte Rüffer & Rub nicht überleben, wenn das Geld nicht auch noch aus anderen Quellen sprudeln würde. Rüffer moderiert Podiumsdiskussionen, arbeitet als Ghostwriterin, begleitet mit ihrer Nebenfirma «Manuskript-Oase» im Stundenlohn Stiftungsberichte, Dissertationen und private Biografien von der Rohfassung bis zur Publikation. Wenn sich eines ihrer Herzensprojekte trotz aller Bemühungen nicht finanzieren lässt, bittet sie im privaten Kreis um Unterstützung – und bekommt sie oft auch. Die Corona-Jahre waren hart, doch der Verlag ist weiterhin schuldenfrei. «Es muss einem eben immer etwas einfallen», sagt Anne Rüffer.
Vor wenigen Tagen wurde sie 68. Wünscht sie sich nicht manchmal ein etwas gemächlicheres Leben? «Ich frage mich schon, wie lange die Kräfte noch reichen», gibt Rüffer zu und sieht plötzlich ziemlich müde aus. Finanzielle Unterstützung wäre schön. Ein etwas weniger bescheidener Lebenswandel auch. «Andererseits konnte ich in meinem Leben genau das tun, was ich immer wollte.» Im Zentrum steht für sie nun mal diese gigantische, alles überstrahlende Liebe zu Büchern. Alles andere ist Nebensache.
Zur Person
Anne Rüffer wurde 1957 in der Nähe von Aachen geboren. Im Jahr 2000 gründete sie gemeinsam
mit der ehemaligen «Tagesschau»-Moderatorin und Lektorin Dominique Rub den Sachbuchverlag Rüffer & Rub, in dem sie auch selbst zahlreiche Werke veröffentlichte. Rub starb 2013.
2014 erschien im Verlag LangenMüller Rüffers erster Roman: «Fräulein Franzen besucht das Glück». Von 2008 bis 2021 war Anne Rüffer zudem Jury-Mitglied des jährlich vergebenen Right Livelihood Award, besser bekannt als «Alternativer Nobelpreis». Während der Pandemie gründete sie den Verein «hearts100», der sich etwa für die Bildung von Mädchen in Afghanistan oder gegen weibliche Genitalverstümmelung in Nigeria einsetzt.
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