Raus aus dem Alltag, um Neues zu erleben. Dieses Mal: Zeitlupe-Redaktorin Annegret Honegger setzt sich aufs «Plauderbänkli».
Text: Annegret Honegger
Ein bisschen Herzklopfen habe ich schon. Dabei brauche ich mich bloss auf eine Bank zu setzen. Allerdings auf eine mit der Aufschrift «Plauderbänkli – hier hats noch Platz». Platz, neben mir zu sitzen und mit mir zu plaudern.
So sitze ich an einem Vormittag mitten in der Stadt Adliswil und freue mich, gespannt und etwas angespannt, auf spontane Gespräche. Doch erst einmal passiert … gar nichts. Die Menschen gehen an mir vorbei, streifen mich höchstens mit ihrem Blick. Alle scheinen zielstrebig unterwegs, mit Wanderrucksack, Postiwägeli, Kinderwagen oder Rollator. Plauderbedarf? Fehlanzeige. Nur ein Hund schnüffelt an meinem Bein.
Ich sitze, lächle freundlich und warte. Denke mir Geschichten zu den Vorbeigehenden aus. Wohin sind sie unterwegs? Was beschäftigt sie? Plötzlich streckt mir eine junge Chinesin einen Flyer entgegen. Sie wohnt seit Kurzem mit Mann und zwei kleinen Kindern in Adliswil und möchte wieder in ihren Beruf als Akupunkteurin einsteigen. Rasch kommen wir ins Gespräch, verabschieden uns herzlich.
Später setze ich meinen Versuch auf einem Plauderbänkli im Grünen um Ufer der Sihl fort. Hier sind viele Leute unterwegs, aber die meisten rennen oder biken mit Kopfhörern. Auch die Chinesin joggt vorbei und winkt – meine erste Bekannte in Adliswil. Ich belausche Schulkinder auf ihrem Heimweg. Ein kleiner Knirps klagt seinem Kollegen: «Gell, die Schule ist voll hart.»
Nun spreche ich Vorübergehende auch aktiv an. Die meisten nehmen sich spontan etwas Zeit. Eine frisch pensionierte Frau erzählt mir von ihrer Rucksackreise durch Indonesien und dass sie ihren Morgenkaffee immer im Bistro trinke, um unter die Leute zu kommen. Ein Mann, der in jungen Jahren aus Ägypten in die Schweiz kam, erklärt: «Das Leben ist nichts ohne andere Menschen.» Für ein gutes Gespräch müsse man immer auch etwas von sich selbst preisgeben.
Ich staune: China, Indonesien, Ägypten – die Welt zu Gast auf dem Adliswiler Plauderbänkli. Auf dem Heimweg spreche ich beim Warten am Bahnhof fast die Frau neben mir auf dem Bänkli an. Denn ich weiss: Es lohnt sich. Jede und jeder hat so viel zu erzählen. Sähe ich jemanden auf einem Plauderbänkli sitzen – ich würde mich ohne zu zögern dazusetzen.
Platz nehmen und ins Gespräch kommen dank Plauder-, Begegnungs-, Freundschafts- oder Wie-gehts-dir-Bänkli – die Idee aus England erobert Städte und Dörfer auf der ganzen Welt. In Adliswil ZH sind die Bänke eine Zusammenarbeit der Stadt mit Pro Senectute Kanton Zürich.
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