© wiki commons/ Takahiro Kyono

«You want it darker» von Leonard Cohen Songs und ihre Geschichten

Nur wenige Wochen vor seinem Tod am 7. November 2016 veröffentlichte der kanadische Songpoet Leonard Cohen das Album «You Want It Darker». Jede Strophe daraus klang nach einem Abschied von der Welt. 

Er war Mitte dreissig, als er zum ersten Mal als Sänger in Erscheinung trat. Und seit damals handeln seine Texte von Vergänglichkeit, Trauer und Tod. Wenn er Liebeslieder singt, beschwört er stets das Verflossene. Wenn er Sehnsüchte beschreibt, dann unerfüllte. Und wenn er vom Leben erzählt, dann immer auch von dessen Endlichkeit.

Er stellt die spirituelle Frage nach dem Sinn des Menschseins angesichts von Leid und Katastrophen. Für Leonard Cohen war die Auseinandersetzung mit dem, was Menschen einander antun können, ein Lebensthema. Aus diesem Blickwinkel schaute er auch auf den Holocaust. Einen frühen Gedichtband nannte er «Blumen für Hitler». In seinen Songs erscheinen die Vernichtungslager nur, wenn man genau hinhört. Zum Beispiel in «Dance me to the end of love» (1984), ein Liebesschwur im Angesicht des Todes. Vordergründig geht es um eine Aufforderung zum Tanz, doch es ist eine brennende Violine, die das Lied spielt. Der Tanz soll den Schrecken nehmen und den Sänger sicher nach Hause bringen:

«Dance me to the end of your beauty with a burning violin
Dance me through the panic ’til I’m gathered in»

«Tanze mich zum Ende deiner Schönheit mit einer brennenden Geige
Tanze mich durch die Panik, bis ich mich in Sicherheit wiege»

«Dance me to the end of love» assoziiert die Gräuel im Konzentrationslager. Es ist ein verzweifelter Tanz bis in die Gaskammer, ein Tanz, zu dem jüdische Geiger*nnen aufspielen müssen, die selbst dem Tod geweiht sind.

Cohens Songs stecken voller religiöser Bezüge. Die Verwurzelung in der jüdischen Tradition hat er nie geleugnet. Nicht nur das Alte Testament ist Thema in seinen Liedern. Auch jüdische Gebete haben ihn inspiriert, Pop- und Folksounds verbinden sich in diesen Stücken mit der Lyrik der jüdischen Liturgie. Der Text des Songs «Who by fire» (1974) ist angelehnt an Unetaneh Tokef, ein Gebet, das während dem Rosch ha-Schana (Neujahrsfest) und am Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, rezitiert wird. Es zählt alle Menschen auf, die im kommenden Jahr sterben werden, jeder mit seiner Todesursache. 

Der Originaltext geht auf Rabbi Ammon zurück, der im Mainz des 11. Jahrhunderts dazu gezwungen werden sollte, zum Christentum zu konvertieren. Ammon bat sich drei Tage Bedenkzeit aus und weigerte sich dann, dem Befehl nachzukommen. Daraufhin wurde er grausam gefoltert. Mit letzter Kraft bat er seine Schüler, ihn in die Synagoge zu bringen, wo er dieses Gebet rezitierte. Als der Rabbi das Gebet zu Ende gesprochen hatte, starb er. Der Legende nach erschien er später einem anderen Rabbi im Traum und wünschte, dass dieses Gebet jedes Jahr vorgetragen würde.

And who by brave assent, who by accident
Who in solitude, who in this mirror
Who by his lady’s command, who by his own hand
Who in mortal chains, who in power
And who shall I say is calling?

Und wer durch tapferen Einsatz, wer aus Zufall,
wer in Einsamkeit, wer in diesem Spiegel,
wer auf Befehl seiner Herrin, wer durch seine eigene Hand,
wer in tödlichen Ketten, wer in voller Macht,
und wer, soll ich sagen, ruft sie?

Hier geht es um den tragischen, den zufälligen, sinnlos erscheinenden, den allzeit präsenten Tod. Und um eine Auseinandersetzung mit der Instanz, die die Menschen aus dem Leben abberuft.

Alles Irdische loslassen

Je mehr sich der Lebenskreis des Mystikers und am Leben Leidenden schliesst, desto mehr Anspielungen auf einen baldigen Tod enthalten Cohens Texte. Schon in «Going home», einem heiteren Dialog mit Gott, ab dem Album «Old Ideas» (2012) spricht er über das «Heimgehen ohne die Kleidung, die ich trug.»

So nah wie auf dem Album «You Want It Darker» war der 82-jährige Leonard Cohen seinen Lebensthemen allerdings noch nie. Das Scheitern der Beziehungen zu Frauen, religiöse Fragen, die niemand ihm beantworten konnte, Fragen der Identität und der Zugehörigkeit – werden hier noch einmal im Blick auf die Vergänglichkeit des Lebens, auf Sterben, Tod und Jenseits zugespitzt.

Die religiöse Dimension von «You Want It Darker» wird besonders im Titelstück deutlich. Der ganze Song ist als ein Gebet aufgebaut, das singende Ich spricht Gott direkt an:

If you are the dealer
I’m out of the game
If you are the healer it means
I’m broken and lame
If thine is the glory then
Mine must be the shame
You want it darker

We kill the flame

Wenn du die Karten gibst
bin ich aus dem Spiel
Wenn du der Heiler bist, bedeutet das
Ich bin gebrochen und gelähmt
Wenn dir der Ruhm gebührt, dann
Gebührt mir wohl die Schande
Du willst es dunkler
Wir löschen die Flamme

Vor einer schlichten Begleitung – kaum hörbares Schlagzeug, eingängige Bassfigur, Kirchenorgel und ein Chor aus seiner Heimatsynagoge in Montreal – proklamiert Cohen zwischen den Strophen auf Hebräisch: «Hineni, hineni» («Hier stehe ich»), und dann auf Englisch: «I am ready, my lord». Gegen Schluss des Liedes ist es die klagende Stimme von Cantor Gideon Zelermyer, der dieses «Hineni, hineni» nochmals aufnimmt. Abraham soll diese Worte gesagt haben, als ihm Gott befahl, seinen Sohn Isaac zu opfern. In Leonard Cohens Fall geht es ums Loslassen von allem Irdischen.

In einem seiner letzten Interviews hat Cohen die Fragen des Journalisten nach Religion, Tod und anderem mit dem Verweis auf eines seiner Gedichte beantwortet (zu hören auf dem Posthum-Album «Thanks For The Dance» / 2019): «Listen to the hummingbird» – mit den Zeilen:

«Listen to the hummingbird/ don’t listen to me»

«Horche auf den Kolibri / Horche nicht auf mich»

© Claudia Herzog

Urs Musfeld alias Musi

Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.

Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/


  • Memento mori – sei dir deiner Sterblichkeit bewusst: In unserem Themenschwerpunkt widmen wir uns einen Monat lang Themen rund um den Tod und das Sterben. Zur Artikelsammlung.

Beitrag vom 17.03.2021

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte sie auch interessieren

Musik

«Yesterday once more» von den Carpenters

Mit Karens samtigem, Gesang und Richards Fähigkeiten als Songschreiber, Multiinstrumentalist und Arrangeur leistete das Geschwister-Duo Carpenters Pionierarbeit für melodischen, melancholischen Pop.

Musik

«Il est cinq heures, Paris s’éveille» von Jacques Dutronc

Jacques Dutronc wird mit «Il est cinq heures, Paris s’éveille» über Frankreich hinaus bekannt. Mit einer Mischung aus Charme, Coolness und Schüchternheit wird er vom Teenie-Idol zum Grandseigneur des Pop.

Musik

«Sign o’ the times» von Prince

Prince, war einer der erfolgreichsten Popmusiker der Welt. Bereits mit 17 begann er seine Karriere – und wurde mit seinem androgynen Auftreten, seiner Sexyness und seiner Mischung aus schwarzen und weissen Musiktraditionen zum Idol. Mit dem Doppelalbum «1999» gelang ihm 1982 der Durchbruch.

Musik

«Winter» von Tori Amos

Tori Amos debütierte in den 1990ern mit Songs aus weiblicher Perspektive, wurde zur feministischen Ikone und erfand sich immer wieder neu. Zu ihren bekanntesten und beliebtesten Liedern zählen «Cornflake girl», «Winter» oder «Professional widow».