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Ältere Menschen sollen umsorgt und geschätzt werden

Friedy Gottet-Kohler – die Hauptdarstellerin der neuen Kampagne von Pro Senectute über die «Benachteiligung älterer Menschen» – im Gespräch über Castings und ihr Vergnügen, ins Kino zu gehen.

Text: Judith Bucher

Friedy Gottet-Kohler ist eine alte Häsin, wenn es um den Dreh von TV-Spots geht. Vor einigen Jahren hatte sich ihr jüngster Sohn mit seiner Familie bei einer Casting-Agentur für ein Shooting zum Thema «Drei-Generationen-Familie» angemeldet. «Ausgewählt haben sie für die Fotos schlussendlich nicht ihn, sondern seine Frau, meinen Enkel und mich. So bin ich ins ‹Filmbusiness› hineingerutscht», erzählt die Seniorin mit einem verschmitzten Lächeln. So hat sie schon eine Züriberg-Dame mit Hündli gespielt, ein anderes Mal ist sie für das Thema Bitcoin einen Nachmittag lang vor einem Feinkostgeschäft mit einem Einkaufswägelchen hin und her gelaufen und hat vergebens versucht, mit Bargeld zu bezahlen.

Die Drehs machen der nun fast 90-Jährigen Spass, und sie setzt sich mit den Themen der Spots auseinander. Das Thema Bitcoin als neues Zahlungsmittel habe ihr schon ein wenig Angst gemacht, erzählt sie. «Ich gehe noch immer auf die Post und zahle meine Rechnungen bar und mit dem Postbüechli. Wenn jetzt das Bargeld verschwände, dann hätte ich ohne Computer tatsächlich ein Problem.»

Für die Herbstsammlung von Pro Senectute sass und stand sie «einen geschlagenen Tag lang» vor der Kamera und wiederholte geduldig die immer gleiche Szene. Es sei «schauderhaft gewesen», erinnert sich Friedy Gottet-Kohler im Nachhinein. Es habe den ganzen Tag über geregnet, eine richtige Weltuntergangsstimmung habe geherrscht, und sie sei auf diesem Estrich gesessen, mit dem Trommeln des Regens im Hintergrund und dieser traurigen Rolle: Friedy Gottet-Kohler spielt im Pro-Senectute-Spot eine alte Frau, die auf dem Estrich sitzt und von ihrem Sohn, der hereinkommt, neben ihr ein paar Schachteln deponiert und wieder hinausgeht, in keiner Weise beachtet wird.

Das Thema stimmt nachdenklich

«Es war nicht schwer, deprimiert auszusehen», sinniert sie in Erinnerung an den Drehtag. Ihr inneres Gedankenkarussell habe sich an diesem Tag permanent gedreht. «Ich bin dankbar», sagt Frau Gottet-Kohler, «dass ich gesund und mobil bin und in meiner Familie, mit meinen Kindern, meinen Enkelinnen und Enkeln und auch mit meiner Schwägerin im Nebenhaus und meinen beiden Brüdern, so gut eingebettet bin. Aber es stimmt mich nachdenklich, dass es Menschen gibt, die niemanden haben, die in ein Altersheim abgeschoben werden oder nur wegen ihres Alters als lästig empfunden werden.»

Sie selber nimmt in der Öffentlichkeit keine Benachteiligung von Älteren wahr. «Natürlich bin ich an der Kasse beim Einkaufen langsam, aber das lässt sich nun mal nicht ändern. Ich halte der Kassiererin deshalb mein Portemonnaie hin, damit sie das Münz herausnimmt – das geht schneller.» Sie ist gerne und häufig draussen unterwegs, wenn auch seit einem Sturz vor einem Jahr mit Stock. Manchmal sei es für sie allerdings etwas gfürchig, wenn ein Rollbrett oder ein Trottinett haarscharf auf dem Trottoir an ihr vorbeiflitze. «Dann erschrecke ich und es macht mich auch ein bisschen wütend», sagt Friedy Gottet-Kohler. «Ich finde, das Trottoir sollte für Fussgängerinnen und Fussgänger reserviert sein», schliesst sie resolut.

Auf die Frage, was es in ihr auslöse, wenn ältere Leute vor allem als Kostenfaktor dargestellt werden, antwortet sie nach kurzem Nachdenken. «Ich sehe dies im Fernsehen und lese es auch in der Zeitung. Das macht mich betroffen und hinterlässt bei mir ab und zu ein schlechtes Gefühl, ja fast ein schlechtes Gewissen. Aber eigentlich bin ich hierfür doch nicht verantwortlich. Oder?» Und sie fährt fort: «Mein Mann ist früh gestorben und ich habe neben dem Haushalt und den drei Kindern geputzt und gebügelt. Mit über 40 hatte ich meine erste richtige Stelle in einem Solarium, das machte mich damals so stolz. Und mit 60 konnte ich dank meiner Tochter in einem Zürcher Kino als Kassiererin anfangen. Ich habe dort bis zum 77. Altersjahr erst vier und dann drei Tage pro Woche gearbeitet.»

«Der Spot macht mich traurig»

Die Frage, ob es sie beschäftige, dass sie nun vielleicht von Menschen auf der Strasse erkannt und auf den Spot angesprochen wird, beantwortet Friedy Gottet-Kohler über einen Umweg: «Ich habe bei den Dreharbeiten gelernt, dass nichts so ist, wie es im Film den Anschein macht», antwortet sie diplomatisch. Die Damen vom Casting sagen mir zwar immer: «Ziehen Sie bitte etwas Schönes an. Aber bis jetzt musste ich jedes Mal irgendwelche Kleider anziehen, die mir weder stehen noch wirklich elegant sind.» Sie sehe in diesen Spots derart anders aus, dass sie bis jetzt erst einmal erkannt worden sei. «Ich liebe es, ins Lunchkino zu gehen. Wenn dort aber dieser Spot gezeigt wird, dann mache ich die Augen zu. Er ist so traurig, das möchte ich nicht sehen.» Nach einem Moment des Nachdenkens fährt sie fort: «Oder vielleicht auch nicht, schliesslich möchte ich doch wissen, wie das Filmli nun aussieht.» 

Herbstsammlung Pro Senectute

Sich im Alter abgeschoben, überflüssig oder gar vergessen zu fühlen, das wünscht sich niemand. Pro Senectute setzt sich dafür ein, dass es nicht so weit kommt, und das seit über 100 Jahren. Wir stehen älteren Menschen und deren Angehörigen mit Rat und Tat zur Seite und sorgen dafür, dass Seniorinnen und Senioren würdevoll und selbstbestimmt leben können. Nur dank Spenden aus der Bevölkerung können wir diese Angebote flächendeckend anbieten.
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Beitrag vom 10.09.2019