Myrthe Dreyfuss in ihrer Zürcher Wohnung. © Claudia Herzog

8. Mai 1945: die Zäsur in der Weltgeschichte

Der Schrecken des Zweiten Weltkriegs überschattete über 2000 Tage lang die Welt. Die Schweiz blieb zwar militärisch verschont, stand aber unter Notrecht: Die Männer mussten Aktivdienst leisten, Nahrungsmittel waren rationiert. Die Zeitzeugin Myrthe Dreyfuss erinnert sich im Podcast von SRF 4 News an die ersten Friedensjahre am Ende dieser dunklen Zeit.

Von Claudia Herzog

Die Friedensglocken läuteten am 8. Mai 1945 im ganzen Land, in der Schweizer Bevölkerung machte sich eine enorme Erleichterung breit. Endlich, Frieden! Wer diesen prächtigen, ungewöhnlich warmen Frühlingstag miterlebte, wird ihn nie mehr vergessen. «Ich war zu diesem Zeitpunkt im Jugendbund», erinnert sich die heute 92-jährige Myrthe Dreyfuss, «wir haben gefeiert. Als 17-jähriges Mädchen habe ich aber die grosse Bedeutung dieses Tages erst viel später erfasst.»

«Wir haben gefeiert, die Bedeutung dieses Tages habe ich erst später erfasst.»

Über 60 Millionen Menschen fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Das Ausmass der Zerstörung im Nachkriegseuropa war riesig, die Wirtschaft lag am Boden, viele Familien waren zerrissen, weite Teile der Bevölkerung litten Hunger. Millionen von Flüchtlingen hatten ihre Heimat verloren. Das Blutbad bedeutete eine Zäsur in der Weltgeschichte, die bis heute Nachwirkungen hat.

Myrthe Dreyfuss: «Ich wollte nach Amerika, es war das Land der Zukunft.» 1947, nach der Matura, studierte sie Ökonomie in New York und Paris – 1955 erhielt sie den Doktortitel.  © Claudia Herzog

Humanitäres Engagement

Während die Nachbarländer in Ruinen liegen, herrscht in der Schweiz das Gefühl vor, «noch einmal davongekommen» zu sein. ­Die Zeitschrift «Brückenbauer» schrieb: «Fünf Jahre und acht Monate furchtbaren Geschehens sind hinter uns. Diese sechs Jahre kommen uns wie ein unerhörter, wüster Alpdruck-­Traum vor. Wir sind dem Kriegssatan auch diesmal heil entronnen, es ist wirklich, es ist tatsächlich vorbei.» «Die Schweiz kam im Zweiten Weltkrieg ungeschoren davon, blieb aber nicht unberührt», sagt Journalist und Historiker Andrea Christen in der Zeitblende von SRF 4 News.

«Die Schweiz kam im Zweiten Weltkrieg ungeschoren davon, blieb aber nicht unberührt»

Die Jüdin Myrthe Dreyfuss wurde 1928 geboren und wuchs als Tochter eines Bankiers in Basel auf. Die Grenze zu Deutschland ist nah, die Familie weiss bereits während des Krieges um die Schrecken der Judenverfolgung. Der Grossvater von Myrthe Dreyfuss stammt aus Deutschland, entkam selbst nur knapp dem Völkermord. 1938 wurde er ins Konzentrationslager Dachau deportiert.

Die Grosseltern von Myrthe Dreyfuss. © Claudia Herzog

Erst als die Eltern von Myrthe Dreyfuss eine Kaution an die Basler Fremdenpolizei stellten, konnten die Grosseltern in die Schweiz flüchten.  Die elterliche Wohnung in Basel bot während des Krieges auch Unterschlupf für andere jüdische Flüchtlinge. Diese humanitäre Selbstverständlichkeit, die in dieser Zeit so gar nicht selbstverständlich war, wird Myrthe Dreyfuss nachhaltig für ihr eigenes Leben prägen.

Historiker und Journalist Andrea Christen © Claudia Herzog

Kriegsende in der Schweiz: «Jetzt ist die Welt offen»

In der Zeitblende von SRF 4 News erzählt neben Zeitzeugin Myrthe Dreyfuss auch der inzwischen 100-jährige Gerhart Wagner, wie ihn diese Zeit geprägt hat. Der Journalist Andrea Christen zeigt ausserdem auf, wie sich die Schweiz insgesamt verändert hat und wie sie sich bald einer unangenehmen Frage stellen musste: Jener nach der eigenen Rolle im Krieg.

Beitrag vom 08.05.2020
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